Seventeen Butterflies

 

Kapitel 1

 

Der Fremde und das Milky Way

»Wer. Bist. Du?«

Die Worte schießen aus mir heraus, noch ehe die Tür hinter mir zugefallen ist. In meinem Haus ist ein Fremder — sieht aus wie ein Halbgott mit dämonisch dunklen Haaren und den Augen eines Engels. Er kommt gerade aus dem Bad, als würde er nur eine kleine Pause zwischen einem Filmmarathon machen, nachdem er es sich in meinem Heim gemütlich gemacht hat. Hallo?

Der Eindringling im weißen T-Shirt wischt sich die Hände an den ausgewaschenen Jeans ab und wirkt dabei nicht einmal halb so verdutzt wie ich. »Mein Name ist Thane«, teilt er mir mit. Dann lächelt er und die Sonne geht um halb sechs Uhr abends zum zweiten Mal an diesem Tag auf. Was zur Hölle?

Er neigt den Kopf. »Und deiner?«

Mein Rucksack rutscht mir von der rechten Schulter, zieht dabei eine Seite meines dunkelblauen Hoodies mit und poltert mit einem so lauten Knall auf den Fliesenboden im Flur, dass es mit Sicherheit auch die Nachbarn hören konnten. Das kommt von den fünf neuen Büchern, die ich mir eben aus der Bibliothek geholt habe. Alles Hardcover. »Häh?«

Grübchen und ein amüsierter Blick lassen die Augen des jungen Mannes etwas schmaler werden. »Dein Name

Himmel! Einbrecher grinsen normalerweise nicht so süß und verwickeln dich in Unterhaltungen, oder? Andererseits wurden wir bisher noch nie ausgeraubt, also was weiß ich schon? Mit einem kurzen Ruck meiner Schulter richte ich den Hoodie wieder so, dass er sitzt, und schnappe mir dann den Hockeyschläger meines Bruders von hinter der Kommode im Foyer. Dort lehnt er schon seit dem Tag, an dem ich als Kind meinen ersten Krimi gesehen habe, doch heute schwinge ich ihn zum ersten Mal.

»Ich heiße Sandra Michelle Cardington. Cardington — so wie es draußen auf dem Briefkasten vor diesem Haus steht. Meinem Haus.« Muss ich extra noch betonen: »Ich wohne hier!« Meine Finger würgen den hölzernen Griff regelrecht, während ich einen Schritt auf den Einbrecher zu mache. »Du nicht.«

»Whoa!« Sein Schmunzeln verläuft sich zu einem niedlichen, jugendlichen Lachen und er hebt abwehrend die Hände.

Das hilft dir gar nichts, Freundchen, ich hack dich trotzdem um.

Obwohl ich ihn anfunkle wie ein tollwütiger Hund, bleibt er nur lässig vor mir stehen, doch seine mitternachtsblauen Augen schielen nach rechts, als er über seine Schulter ruft: »Du hast nicht gesagt, dass du mit Harley Quinn verwandt bist, Cam.«

Im nächsten Moment kommt er so schnell auf mich zu, dass ich es komplett übersehe. Mit nur einer Hand drückt er meinen Arm nach unten und blickt mir dabei freundlich in die Augen. »Komm, ich zeig dir, wie das geht. Das ist kein Baseballschläger, weißt du? Diesen hier verwendet man ein bisschen näher am Boden.«

Sobald ich meine Reflexe wieder im Griff habe, zucke ich zurück und hebe den Schläger erneut zum Angriff. »Ist mir scheißegal, was —«

Aber warte mal. Hat er gerade gesagt, Cam ist hier? Er muss seinen schwarzen Mustang in der Garage geparkt haben, denn die Einfahrt war leer.

Durch die Erleichterung über diese Neuigkeiten lasse ich die Waffe einige Zentimeter sinken, nur um eine Sekunde später meinen Rücken erneut voller Frust durchzustrecken, als mein Bruder lässig aus der Küche kommt.

»Entspann dich, Sandy. Thane ist in meinem Team.«

Einen Scheiß werd ich!

Cameron ist zwei Jahre älter als ich und spielt Eishockey in Portland für die Riot Robins. Meine Güte, welches College nennt sein Team schon die Randalierenden Rotkehlchen? Er hat dort ein Stipendium für die Uni erhalten und sie bezahlen sogar seine Wohnung in der Stadt, was auch bedeutet, er sollte eigentlich gerade sechzig Meilen weiter nördlich von hier sein und nicht meine zwei friedlichen, elternfreien Wochen stören. Ich ziehe den Schläger noch einmal etwas höher, während meine Augenbrauen tief nach unten knicken. »Was, um alles in der Welt, machst du hier?«

»Ist auch schön, dich zu sehen, Schwesterherz.« Er schiebt sich an dem Fremden vorbei und nimmt mir den Hockeyschläger aus den Händen, um ihn zurück hinter die Kommode zu stellen. »Mom hat mich angerufen und mich gebeten, dir Gesellschaft zu leisten, während sie weg sind. Anscheinend denkt sie, du fürchtest dich allein.«

Mit nun leeren Händen, aber dafür doppelt so genervt starre ich erst den Fremden und dann meinen Bruder finster an. »Sie hat dich heute angerufen?« Meine Eltern sind schon vor einer halben Woche gefahren.

»Äh … ja … Was das angeht …« Cam zieht die Neandertalerlaute schuldbewusst in die Länge, als er seinen Arm um meinen Nacken legt und mich mit sich in die Küche zieht. »Falls sie fragt, könntest du ihr sagen, dass ich schon am Sonntagmorgen angekommen bin?«

»Nein, kann ich nicht.« Ich drücke ihn von mir weg und richte meinen langen Pferdeschwanz, der die spektakuläre Farbe eines Schokoriegels hat. Dann klettere ich auf einen Barhocker an der Kücheninsel. Cameron geht inzwischen zum Kühlschrank und nimmt zwei Dosen Fanta Orange heraus. Eine davon wirft er Thane zu, der sich gerade auf den Hocker neben mir geschoben hat, die andere öffnet er selbst. Nach einem großen Schluck folgt ein Rülpsen, weil mein Bruder nämlich ein Schwein ist. Dann wischt er sich mit dem Ärmel seines dunkelgrünen Sweatshirts, auf dem vorne ein Plutoniumzeichen gedruckt ist, über den Mund.

»Warum bist du überhaupt nach Hause gekommen?«, motze ich mit dem Kinn trotzig auf meine Hände gestützt und den Ellbogen auf der Theke. »Ich bin kein hilfloses kleines Kind mehr.«

Und ich will sturmfrei! Schon seit einer halben Ewigkeit freue ich mich auf diese beiden Wochen — genauer gesagt seit jenem Tag, als mir meine Mutter erzählt hat, dass sie und Dad zu Beginn meiner Sommerferien ein Bauprojekt in Detroit betreuen müssten. Sie sind beide Architekten und treffen sich dort gerade mit ein paar Leuten irgendeiner chinesischen Firma, um die Pläne für einen Wolkenkratzer fertigzustellen. Meinetwegen können sie gern die komplette Stadt neu designen und sich den ganzen Sommer dafür Zeit lassen. »Ich weiß inzwischen selbst, wie man den Herd bedient.« In vier Tagen werde ich schließlich siebzehn. Mit einem Hauch von Sarkasmus im Wimpernaufschlag drehe ich mich zu Thane. »Und für alles andere habe ich ja noch den Hockeyschläger.«

Lachend öffnet Thane die Fantadose. »Gefährliches, kleines Ding, wie?« Er nimmt einen Schluck und hebt dabei herausfordernd die Augenbrauen, während sein seitwärts gerichteter Blick immer noch auf mir ruht.

Nun, wenn er damit meint, dass ich mich selbst verteidigen kann, dann hat er verdammt recht. Oakspeak ist eine verschlafene Kleinstadt an der Küste Oregons, in der jeder jeden kennt. Das schlimmste Verbrechen, das sich hier jemals ereignet hat, seit ich geboren wurde, war, als Mr. Michaels am Ende der Straße versehentlich ein Eichhörnchen mit einem Golfball aus dem Baum in seinem Vorgarten geschossen hat. In dieser Gegend braucht man nicht wirklich eine Waffe, allerdings weiß man auch nie, wann sie sich nicht doch einmal als nützlich erweisen könnte — oder der Selbstverteidigungsunterricht, den ich als Kind hatte.

»Dann bleibt ihr also bis Mitte nächster Woche? Beide?«, raune ich mit verzerrtem Gesicht wieder zu Cameron gedreht. »Bis Mom und Dad zurückkommen?« Bitte sag nein! Bitte sag nein! Bitte sag nein!

»Nein.«

JA!

»Wir bleiben nur bis Samstag«, erklärt Cam, wobei er mir auf die Schulter klopft, »und gehen dir bis dahin die ganze Zeit auf die Nerven.« Der findet das alles wohl megawitzig.

Oh Mann, heute ist erst Dienstag! Meine Stirn knallt auf die Theke. »Wen habe ich in einem früheren Leben umgebracht, dass ich das verdient habe?«

»Jetzt sei nicht so melodramatisch«, zieht mich mein Bruder auf, obwohl er gerade etwas mitleidiger wirkt. »Ich glaube, Mom will einfach nicht, dass du dich die ganze Woche langweilst und am Freitag alleine bist, wo du doch Geburtstag hast.«

»Mein Geburtstag ist am Samstag, du bester Bruder auf der Welt«, grummle ich in meine verschränkten Arme. »Und ich wäre weder allein noch gelangweilt. Adrian ist ja da.«

Als ich Cams Räuspern höre, hebe ich den Kopf. Wir starren uns gegenseitig in die Augen, während er einen weiteren Schluck nimmt und in die Öffnung der Dose murmelt: »Ja … ich denke, das ist der andere Grund, warum Mom mich im Haus haben will.«

Ich verdrehe die Augen und werfe die Hände in die Luft. »Was stimmt denn bloß mit euch allen nicht? Er ist doch nur ein Freund, Herrgott nochmal!« Adrian Monterey lebt nebenan und wir sind schon seit unserer Geburt beste Freunde. Kommenden Herbst beginnt für uns beide das letzte Jahr an der Oakspeak High und bisher ist absolut rein gar nichts zwischen uns passiert. Noch nie! Zugegeben, es gab Situationen, in denen es den Anschein machte, als würde er mich jede Sekunde küssen. Aber es gab auch jene Momente, in denen es so aussah, als wäre mich zu küssen das Letzte, was er auf dieser Welt will. Und das ist auch gut so, denn wir führen eine ganz besondere Freundschaft, in der nichts Anderes Platz hat. »Ein wenig Vertrauen? Wäre das möglich?«

Cam zuckt mit den Schultern. »Hey, ich tue Mom hier nur einen Gefallen.« Er kommt um den Küchenblock herum und zupft im Vorbeigehen an meinem Pferdeschwanz. »Also … Was gibt’s zum Abendessen, Schwesterchen? Kochst du was?«

Ernsthaft? In Zeitlupe drehe ich den Kopf nach ihm um und durchbohre seinen Dickschädel mit einem düsteren Blick zwischen den Strähnen hindurch, die aus meinem Haargummi entkommen sind. Ich meine: »Ernsthaft?« Meine Zähne knirschen, als würde ich Kieselsteine kauen. »Ihr versaut meine Geburtstagswoche und dann erwartest du auch noch, dass ich für euch beide koche?«

»Was willst du von mir?«, erwidert er spöttisch, als er sich auf die Couch im angrenzenden Wohnzimmer fallen lässt und nach der Fernbedienung greift. »Es ist nicht meine Schuld, dass du noch einen Babysitter brauchst.«

Mein Blut hat gerade den Siedepunkt erreicht. Da der Laser, den ich aus meinen Augen feuere, aber nur am Hinterkopf meines Bruders abprallt, erwischt das meiste davon Thane.

»Ähmm…« Seine Lippen werden schmal, als versuche er gerade angestrengt, sich ein Grinsen zu verkneifen. Dann rutscht der Bursche mit den Engelsaugen vom Barhocker, streift sich die dunklen Haare zurück und stößt dabei den Atem aus. »Ich bin sicher, wir können auch eine Pizza bestellen.«

Meine rechte Augenbraue wandert nach oben und meine Zähne knirschen immer noch, allerdings begrüße ich den Anstand von zumindest einem Kerl in diesem Raum. Vielleicht kann er meinem Bruder ja ein paar Manieren beibringen, solange sie hier sind.

Ich überlasse das Babysitter-Gespann sich selbst, schnappe mir den Rucksack aus dem Flur und werfe ihn mir über die Schulter. Oben ruft die Wanne nach mir. Ich freue mich schon seit heute Morgen auf ein stundenlanges Schaumbad mit Bonbon-Aroma. Dazu ein gutes Buch. Ed Sheeran. Und eine Packung Oreos.

*

Draußen ist es schon dunkel, als ich wieder aus meinem Zimmer komme, frisch gebadet und in meinen kurzen Pyjama gekleidet. Meine feuchten Haare fallen über meine Schultern und die dickflüssige Regenbogen-Candy Bodylotion zieht nur langsam in meine Haut ein. Mit meinen weißen Lieblingswollsocken an den Füßen schleiche ich nach unten. Im ganzen Haus ist es still. Demnach sind die Jungs entweder ausgegangen, oder sie sind oben und bereiten die Schlafcouch in Camerons Zimmer für Thane vor. Mir ist egal, was von beidem zutrifft, solange das Erdgeschoss wieder ganz mir allein gehört und ich es mir auf unserer altmodischen Couch mit Netflix gemütlich machen kann.

Stolz und Vorurteil steht als Nächstes auf meiner Liste. Auf diesen Film freue ich mich schon, seit ich letzten Monat Jane Austen für mich entdeckt habe. Ihr Schreibstil ist nicht von dieser Welt und ich hoffe wirklich, dass der Film ihrem Buch gerecht wird.

Bevor der Film aber starten kann, suche ich das gesamte Wohnzimmer nach der Fernbedienung ab. Heiliger Strohsack, wo hat er sie nur hingelegt? Ich wühle durch die Magazine auf dem Couchtisch, schaue unter das Sofa, hinter die Kissen — ah, da haben wir sie ja! Offenbar hat sie mein Bruder vorhin mit seinem unnützen Arsch zwischen die Sitzpolster geschoben. Endlich kann ich mich auf die Couch fallen lassen und schiebe mir ein Zierkissen hinter den Rücken, während ich den Fernseher anmache und zu Netflix wechsle. Doch der Film muss noch kurz warten, weil ich erst noch Adrian über WhatsApp anrufen will. Er ist heute mit seinem Stiefbruder Ronan zu einem Eishockeyspiel in die Nachbarstadt gefahren, weswegen wir uns den ganzen Tag nicht gesehen haben. Die Einladung, die beiden zu begleiten, habe ich dankend abgelehnt, denn in meiner Familie wird schon genug Hockey gespielt, und es ist trotzdem nicht mein Ding.

»Hi, Sandy!« Mein Freund strahlt in die Kamera, sobald er den Videoanruf angenommen hat. »Rate mal! Wir haben gewonnen!« Er ist immer noch im Stadion und dem Lärm nach zu urteilen, feiern die Leute rund um ihn herum, obwohl ich null Ahnung habe, welches Team wir diesmal überhaupt angefeuert haben. Wenn es darum geht, Zeit mit Ronan zu verbringen, ist Adrian ziemlich flexibel. Außerdem nutzt er jede Gelegenheit, um von zu Hause flüchten zu können.

»Wie schön! Dann hattest du also einen tollen Tag mit Ro?«

»Den Besten überhaupt.« Er greift nach rechts und bringt Ronan für eine Sekunde auf den Bildschirm, seinen Arm brüderlich um den Nacken des Zwanzigjährigen geschlungen. Ich winke dem schwarzhaarigen Psychologiestudenten zu, der mich mit einem Grinsen begrüßt, ehe ich Adrian wieder allein auf dem Display habe.

Es tut so gut, meinen Freund endlich wieder einmal glücklich zu sehen. Das ganze letzte Jahr über hat er sich nur mit seinem Stiefvater Tom gestritten und die Situation hat begonnen, einen melancholischen Schleier in den Augen meines besten Freundes zu hinterlassen. Die Gründe für diese ewigen Auseinandersetzungen sind immer dieselben: Adrian kann Tom einfach nichts rechtmachen. Er schreibt in der Schule keine Einsen, sein Zimmer ist nicht ordentlich genug, seine Leidenschaft ist Zeichnen und nicht Sport. Tom ist ein schwieriger, rechthaberischer Mensch. Manchmal denke ich, das einzig Gute, was er in diese Familie brachte, als Adrians Mom ihn vor einigen Jahren geheiratet hat, war Ronan.

Adrian nimmt einen Schluck Wasser aus einer Flasche. »Und wie war dein Tag?«

Äh. »Ich hatte schon bessere«, um ehrlich zu sein. »Jetzt rate du mal. Nein, vergiss es. Darauf kommst du sowieso nicht.« Auf meinem Smartphone winkt jemand mit einem riesigen Schaumstofffinger hinter Adrians neugierigem Gesicht herum. »Cameron ist heute heimgekommen.«

Seine strahlendgrünen Augen werden minimal schmäler. Ich weiß, dass er Cam gut leiden kann, aber keiner von uns beiden will meinen Bruder diese Woche zu Hause haben. Er wird alles ruinieren, ganz besonders meine Pläne für Freitagabend. »Wie lange bleibt er denn?«

»Mindestens bis Samstag.« Ich bin total im Arsch und bekomme so niemals meinen ersten Kuss, bevor ich siebzehn werde. »Und er hat auch noch jemanden mitgebracht.«

Nun zieht Adrian die hellen Augenbrauen unter den chaotischen, blonden Strähnen tiefer, die ihm in die Stirn fallen. »Wen denn?«

»Einen Freund. Oder Teamkameraden. Was weiß ich.« Desinteressiert winke ich mit der Hand ab. »Sein Name ist Thane.«

»Klingt interessant. Könnte voll dein Problem lösen.«

»Könnte voll gar nicht!« Ich muss lachen, denn wenn das Wort interessant von Adrian kommt, bedeutet das meist nichts Gutes. »Allerhöchstens ist es nervig, nicht nur einen, sondern gleich zwei Kerle im Haus zu haben, die meine Partypläne ruinieren. Cam wird mir das niemals durchgehen lassen, ohne Mom davon zu erzählen.«

Grübelnd verzieht Adrian den Mund auf eine Seite, während er sich aus der lärmenden Menschenmenge verzieht und sich irgendwo am Rand der Tribüne ein stilleres Plätzchen für unsere Unterhaltung sucht. »Ich weiß nicht. Cameron ist cool. Vielleicht hilft er dir ja sogar.«

»Der? Mir dabei helfen, geküsst zu werden? Sag mal, hast du sie noch alle?«

»Nein, im Ernst. Er kennt viel mehr Leute als wir beide zusammen und könnte einige davon zu deiner Party einladen. Ich meine, wenn du die Wahl hättest zwischen Max Fergusson« — er verdreht die Augen, denn wir beide wissen, dass der Star-Hockeyspieler der Abschlussklasse an unserer Highschool meine Kuss-Jungfräulichkeit zwar ohne zu zögern aufheben würde, doch dass sein Intellekt dafür auch nur dem eines Einzellers gleicht — »und einem geheimnisvollen Fremden mit etwas mehr Verstand … Wen würdest du lieber küssen?«

Ein Schlüssel rasselt im Schloss an der Vordertür und jagt mir einen Schrecken ein, der wie kaltes Wasser durch meinen Körper zischt. Automatisch ziehe ich den Kopf ein, weil ich hier ein sehr wichtiges und sehr vertrauliches Telefonat mit Adrian führe. »Ich würde jeden Max Fergusson vorziehen«, flüstere ich, ehe ich rasch das Thema wechsle und meine Stimme wieder normal wird. »Du hast dir einen Sonnenbrand im Gesicht geholt.« Adrians rote Haut leuchtet geradezu im Stadionlicht. Sieht aus, als würde das in ein, zwei Stunden ziemlich wehtun. »Warst du mit Ronan vor dem Spiel noch am Strand?«

»Jap.« Adrian grinst ins Telefon. Zweifellos versteht er, warum wir jetzt über Sonnenbrände reden müssen. »Aber keine Sorge. Bis morgen verwandelt sich das in die perfekte Bräune. Wart’s nur ab.«

Er hat recht. Das tut es immer. Und ich hasse ihn dafür. Na ja, nein, tu ich nicht, aber ich wünschte, ich hätte im Sommer auch so eine schöne Hautfarbe wie er. In meiner Familie hat niemand ein Problem damit außer mir. Sogar mein Bruder, der die gleichen schokobraunen Haare und Zimtaugen hat wie ich, bräunt zu einem umwerfenden Sunnyboy, während ich das ganze Jahr über so blass bleibe wie ein Weihnachtself.

Sobald Cam und Thane in die Küche poltern, schießt mein Genervt-Level wieder schlagartig nach oben. Weiß der Teufel, worüber die beiden reden, aber ihr Geplapper ist so laut, dass ich mein eigenes Wort kaum noch verstehe. »Entschuldigt bitte!« plärre ich mit dem Kopf nach hinten geneigt, doch mein wütender Blick schafft es dabei nur bis an die Decke. »Ich telefoniere gerade!«

Sofort werden ihre Stimmen leiser. »Ist das Mom?«, will Cameron wissen. Ich kann seine stinkende Thunfischpizza bis hierher riechen und weiß, er kommt näher. Sein Kopf schiebt sich in mein Sichtfeld, als er sich nach vorne beugt, um einen Blick auf mein Handy zu werfen. »Hoppla. Nicht Mom.« Die Worte entkommen ihm auf eine merkwürdig zurückrudernde Weise, so, als wäre er in eine sehr intime Situation geplatzt. »Hi, Adrian.«

Ohne meinem Freund weiter ihre Aufmerksamkeit zu schenken, rutschen Cam und Thane über die Rückenlehne der Couch und quetschen mich zwischen sich ein. Beide stellen sie ihre Pizzakartons auf den kleinen Tisch vor uns, auf dem ich meine Füße geparkt habe, und klappen sie auf. Nur aufgrund meiner guten Manieren ziehe ich meine Beine zurück und kreuze sie zum Schneidersitz auf dem Sofa.

»Es macht dir doch nichts aus, wenn wir einen Film aussuchen, oder?«, brabbelt Cam scheinheilig, obwohl er genau sehen kann, dass ich bereits Stolz und Vorurteil am Start habe.

Als er sich die Fernbedienung krallt, schnappe ich sie mir zurück. »Doch, tut es!«

Ungewollt drehe ich das Handy in meiner anderen Hand dabei so, dass das Display zu Camerons Freund gerichtet ist, und Adrians freundliche Stimme driftet aus dem Stadion: »Hallo. Du bist wohl Thane.«

Cam und ich unterbrechen unseren Kampf um die Fernbedienung für eine Millisekunde. Mein Blick schwenkt dabei zum Handy und dann weiter zu Thane, der sich gerade die Spitze eines Pizzastücks in den Mund geschoben hat. Er stoppt in der Kaubewegung und murmelt ein »Hi« um das Essen herum. Um ihm ein bisschen Privatsphäre mit der heißen Pizza zu lassen, drehe ich Adrian wieder zu mir.

»Was willst du sehen, Griffyn?«, fragt Cam in der Zwischenzeit entspannt, gerade so als wäre ich hier nur der verfliegende Gestank seines Furzes und hätte kein Mitspracherecht. Und wer zum Teufel ist überhaupt Griffyn? Er hat doch hoffentlich nicht noch mehr Freunde mitgebracht? Gereizt schiele ich nach hinten.

»Hast du schon den letzten von Stephen King gesehen? Der soll ja genial gut sein«, antwortet Thane und liefert mir damit den Hinweis, den ich brauche. So so, sein Name ist also Thane Griffyn.

»Tut mir ja schrecklich leid, dass ich euch enttäuschen muss, Jungs, aber heute Nacht ist das hier ein Jane Austen Kino«, unterbreche ich die beiden, ehe es zu spät ist. »Wir spielen keine Horrorfilme.«

»Wetten?« Cameron lehnt sich noch einmal mit dem ganzen Körper nach der Fernbedienung und mäht mich dabei um, sodass Thane seine Hand heben muss, um die Pizza vor meinen fliegenden Haaren in Sicherheit zu bringen. »Wir sind zwei Erwachsene gegen dich kleine Tinkerfee.«

»Verstehst du jetzt mein Dilemma?«, schreie ich irgendwo in die Gegend und hoffe, dass Adrian mich hören kann. Gleichzeitig ziehe ich meine Hand aus Camerons Reichweite und brate ihm mit dem Handy eins über. Thane lässt sich von unserem Kampf nicht aus der Ruhe bringen und isst seelenruhig neben uns weiter. »Kann ich bitte —«, frage ich Adrian mit wehleidiger Stimme, merke aber dann, dass ich gerade in die Fernbedienung spreche und nicht in mein Smartphone. Ich tausche die beiden und fange noch mal von vorn an. »Kann ich bitte in deinem Zimmer warten, bis du zurückkommst?«

Adrian fängt an zu lachen. »Die Schlüssel sind in der Topfpflanze auf der Veranda.«

Mir selbst ist nicht so sehr nach lachen, weil Cameron mein Handgelenk erwischt hat und mir gerade den Arm auf den Rücken verdreht. So ist es ein Leichtes für ihn, sich endlich die Fernbedienung zu holen, und er schaltet auf einen Film, der ihm lieber ist als ein historischer Liebesfilm. »Pech gehabt, Zwerg.«

»Ich muss jetzt auflegen! Das wird gerade etwas kompliziert«, rufe ich meinem Freund zu.

»Schon klar«, erwidert Adrian so amüsiert, dass ich ihm am liebsten auch eins mit dem Handy überbraten würde. »Gute Nacht, Sands. Jungs.«

»Nacht, Adrian!«, sagen Cam und Thane gleichzeitig, bevor ich den Videochat beende, indem ich willkürlich überall auf dem Display herumdrücke, bis es endlich schwarz wird. Dann werfe ich das Smartphone zur Seite, damit ich wenigstens eine Hand wieder für die Schlacht mit meinem Bruder freihabe. Oder zumindest dachte ich das.

Thane packt mich schneller am Handgelenk, als ich Vorurteil sagen kann, und hält meine Hand hinter seinem Rücken fest. Cam macht das Gleiche mit meinem anderen Arm und ganz plötzlich bekomme ich eine sehr genaue Vorstellung davon, wie sich ein Schmetterling fühlen muss, dessen Flügel an ein Brett getackert sind.

»Was zum Geier — heee!« Das ist so lächerlich, dass ich fast schon darüber lachen muss. »Lasst mich gefälligst los, ihr Pfosten!«

»Werden wir«, beginnt Cam.

»Nachdem der Film zu Ende ist«, fügt Thane hinzu.

Aagh! Ich werfe den Kopf in den Nacken und knurre an die Decke.

»Wenn du brav bist, teile ich auch meine Pizza mit dir.«

Bei Cams Angebot kommt mir das Kotzen. Ich funkle ihn durch schmale Schlitze in meinen Augen an, während mein Kopf immer noch hinten auf der Rückenlehne liegt. »Ich will deine ekelhafte Pizza nicht.«

»Was ist damit?«

»Sie stinkt.« Es sind Champions, Thunfisch und Mais darauf. All die Dinge, die ich nicht ausstehen kann. »Ich würde es vorziehen, lieber nicht im selben Raum mit deinem Essen zu sein.«

Cam wirft mir einen beleidigten Blick zu, während er sich das erste Stück in den Mund stopft. Gleichzeitig fängt der Kerl zu meiner Rechten an zu lachen, und obwohl er das mit vollem Mund tut, klingt es irgendwie schön.

Ich, andererseits, bin absolut ahnungslos, worum es jetzt geht. »Was?«

»Genau das sage ich ihm auch immer«, erklärt mir Thane.

Wirklich? Trotz meiner misslichen Lage — gefesselt auf der Couch — mustere ich ihn einen Moment lang leicht verwundert. Scheint, als hätten wir beide etwas gemeinsam, selbst wenn es sich nur um den Geschmack bei Essen handelt. Seine Pizza mit Schinken und Ananas sieht verdammt lecker aus.

»Ihr zwei könnt euch einen Bus teilen und damit zur Hölle fahren«, motzt Cameron ironisch. Das bringt mich jetzt auch zum Kichern. Er wirft das Pizzastück in den Karton zurück und zappt durch die Filmauswahl auf Netflix, bis er etwas in der Horrorabteilung gefunden hat, das ihm offenbar zusagt.

Ich will mich heute Nacht aber nicht gruseln. »Komm schon, Cam! Du kannst das Programm in deiner eigenen Wohnung aussuchen. Das hier ist nicht mehr dein Zuhause. Also lass meine Hand los und gib endlich Ruhe.« Um nicht zu sagen: Gib mir die Fernbedienung!

»Na-ah, da irrst du dich, Zwerg. Das hier wird immer mein Zuhause sein. Und wir sehen uns heute sicher keine Liebesschnulze an.«

»Was hältst du denn von einem Kompromiss?«, spielt Thane den Diplomaten und ich bin sozusagen dazu gezwungen, ihm zuzuhören, weil er mich mit seinen hübschen mitternachtsblauen Augen gnadenlos gefangen nimmt.

»Woran hast du gedacht?«

»Na ja … Ich könnte dir zum Beispiel etwas von dem guten Essen in diesem Haus abgeben und dafür verzichten wir auf Romance.« Er wedelt langsam mit einer Pizzaecke vor meinem Gesicht hin und her, um sein Angebot zu untermauern, und es riecht verlockend.

»Wie wäre es mit … keine Romance, kein Horror, ich bekomme die Hälfte deiner Pizza, und ihr könnt euch eine Komödie aussuchen?«

Thane denkt mit leicht geneigtem Kopf darüber nach. Die Pizza hängt dabei immer noch direkt vor meinem Mund in der Luft. Noch ein paar Sekunden und der Käse läuft auf meinen Schoß. Was für eine Verschwendung. »Hmm. Dann einen Actionfilm«, verhandelt er mit mir.

»Abgemacht.« Ich weiß, wann man sein Glück besser nicht weiter herausfordert. Es ist der Moment, wenn Käse von der Pizza zu tropfen droht.

Thane schenkt mir ein Lächeln und schiebt dabei seine Hand so weit nach vorn, dass ich das pampige Ende des Pizzastücks abbeißen kann. Verdammt, das schmeckt wie ein karibischer Feiertag!

Wie eine festgenagelte Motte bin ich den Jungs die nächste Viertelstunde lang ausgeliefert, aber zumindest hat das Schicksal einmal Mitleid mit mir. Cam entscheidet, dass wir uns den letzten James Bond mit Daniel Craig ansehen, der gar nicht so schlecht ist, und Thane füttert währenddessen abwechselnd einmal sich selbst und einmal mich mit einem Pizzastück nach dem anderen. »Dir ist schon klar, dass das hier viel einfacher funktionieren könnte, wenn du meinen Arm loslassen und mich selbst essen lassen würdest, oder?«, unterbreite ich ihm teils lachend und teils mampfend, was er mir in den Mund schiebt.

Das Resultat daraus ist, dass Thane seinen Griff wieder festigt, der in den letzten paar Minuten schon um Einiges leichter geworden ist. Dann lehnt er sich so nahe zu mir, dass wir uns Nase an Nase befinden, Auge in Auge, und ich höre auf zu kauen, weil er mich damit total überrascht. »Das könnte es«, raunt er niedlich mit einem schiefen Grinsen, »aber wo wäre dabei der Spaß?«

Gott, eine warme Gänsehaut überzieht meinen ganzen Körper.

Doch plötzlich verschwindet sein neckisches Grinsen, als hätte es jemand mit einem Tafelschwamm weggewischt. »Whoa.«

»Waaas?«

Für einen ziemlich langen Moment starrt er mir schwer geschockt in die Augen und senkt dann die Lider zu faszinierten Schlitzen. »Du riechst wie ein Milky Way.«

Oh. Tja … das kommt wahrscheinlich von der Bodylotion, die ich vorhin aufgetragen habe.

Mit einem niedlichen Schmollmund lehnt sich Thane zurück, gibt meine Hand frei und schiebt dann die letzten beiden Pizzastücke samt Karton über den Tisch zu mir herüber. »Na toll. Jetzt habe ich Appetit auf Süßes.«

Die kribbelige Gänsehaut bleibt und ich unterdrücke ein kleines Lächeln, während ich mich wieder dem Fernseher zuwende. Aber alle paar Minuten muss ich ganz automatisch zur Seite schielen, wo Thane es sich gemütlich gemacht hat, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und ein Bein so weit nach links gekippt, dass es die ganze Zeit über mein Knie berührt.

 

Kapitel 2

 

Klimmzüge zum Frühstück

Das erbarmungslose Vibrieren meines Smartphones weckt mich viel zu früh am Mittwochmorgen. Dieses blöde Ding wollte die letzten zehn Minuten einfach keine Ruhe geben. Liegt es nur an mir, oder versteht hier jemand die Bedeutung von Sommerferien nicht?

Das Kissen auf meinen Kopf gedrückt — hauptsächlich, um das blendende Sonnenlicht abzuwehren, das durch mein Fenster hereinströmt — tappe ich auf meinem Nachttisch herum, bis meine Finger auf der glatten Oberfläche des Handys landen. Brummelig drücke ich mich auf meine Ellbogen hoch und hole es zu mir ins Bett, um dann mit verschlafenen Augen auf das Display zu starren. Zwei entgangene Anrufe von Adrian und ein Video auf WhatsApp. Wow. Der Bursche ist ja heute ganz schön hartnäckig. Unter dem Video steht fett: WTF?!

Ja, what the fuck, Adrian?

Bevor ich ihn zurückrufe, starte ich aber noch das Video, in dessen Standbild eine nichterkennbare Person an irgendeiner Stange hängt. Sobald ich auf Play drücke, bewegt sich die Person auf und ab. Okay, hier macht offensichtlich jemand ein Workout. Was soll daran denn so besonders sein? Die kurze Aufnahme ist mit Adrians aufgeregter Stimme hinterlegt, die fragt: »Hast du das gesehen?!«

Immer noch verschlafen und kaum fähig, geradeaus zu schauen, kneife ich die Augen zusammen, um erkennen zu können, was das denn nun wirklich ist. Es braucht noch ein paar Sekunden, bis mir klar wird, dass ich hier tatsächlich von Adrians Zimmerfenster im Haus nebenan aus in unseren Garten blicke. Und der junge Athlet im Video hängt in Wahrheit an der Querstange unserer alten Schaukel.

Ey, was?

Noch ehe das Video zu Ende ist, werfe ich die Decke beiseite und schwinge meine Füße über die Bettkante auf den flauschigen rosa Teppich, der das perfekte Highlight in meinem sonst doch ziemlich weißen Zimmer ist. Die einzigen anderen Farbkleckse sind die türkise Bettwäsche und das große Poster an der Tür mit einem sonnengelben Emoji drauf, das zwinkert und einen Herzkuss in den Raum wirft. Aber dorthin steuere ich gerade nicht.

Mit dem Smartphone in der Hand gehe ich zum offenen Fenster neben dem weißgestrichenen Bücherregal und spähe vorsichtig hinaus. Das Erste, was ich sehe, ist Adrian, der sich selbst hinter dem Vorhang des Fensters gegenüber versteckt. Er winkt mir ein stilles »Guten Morgen« zu und deutet dann energisch in den Garten zwischen unseren Häusern runter. Mein Blick fällt nach unten. Und mein Kinn tut es ihm gleich.

Die Person ist immer noch da. Und es handelt sich nicht nur um irgendeine Person, sondern um Thane! Er macht gerade Klimmzüge, atmet dabei angestrengt, seine schweißnasse Haut glitzert in der Morgensonne, und all das kann ich erkennen, weil er nämlich nur Jeans anhat und kein verfluchtes T-Shirt. Heilige Scheiße!

Kleine Schweißtropfen laufen durch die Täler zwischen seinen dezent geformten Rückenmuskeln. Bei jedem Zug nach oben arbeiten seine Schulterblätter hart mit, und der rhythmische Sound seines Atems, wann immer er das Kinn über die Stange schiebt, driftet durch mein Fenster.

Cam und ich haben diese Schaukel bekommen, als wir noch Kinder waren, darum ist das Gerüst auch nur einen halben Meter größer als Thane. Die obere Querstange erreicht man leicht mit ausgestreckten Armen, weshalb er auch seine Knie anwinkeln muss, um die Füße über dem Boden zu halten.

Wie in eine andere Welt getragen, beobachte ich Thane eine ganze Weile lang bei seinen Übungen, bis das Telefon sachte in meiner Hand zu vibrieren beginnt. Schlagartig zurück in die Realität katapultiert, blicke ich aufs Display und nehme dann Adrians Anruf sehr, sehr leise an. »Was?«

»Ist das Cams Freund, der in eurem Garten trainiert?«, säuselt mein BFF in mein Ohr, während wir beide immer noch auf Thanes nackten Oberkörper starren. Na ja, ich zumindest. Und es besteht auch nicht die geringste Chance, Adrians Unterton in der Frage zu überhören.

»Offensichtlich. Also, warum hast du mich geweckt?« Natürlich weiß ich einen hübschen Männerkörper zu schätzen, wenn ich einen sehe, aber das ist noch lange kein Grund dafür, mich so früh am Morgen zu wecken. Außerdem will ich keinen Freunden meines Bruders nachspionieren.

»Weil das ganz klar deine große Chance ist. Du solltest sofort da runtergehen und ihm beim Training Gesellschaft leisten.«

Ähm, wie bitte? »Bist du verrückt?«

»Nein. Willst du jetzt vor deinem siebzehnten Geburtstag geküsst werden oder nicht?«

»Na ja, ja … schon. Aber –«

»Nix aber! Jetzt komm schon, das ist die perfekte Gelegenheit. Geh runter! Sofort

Mein finsterer Blick zoomt quer über den Garten direkt durch sein Fenster. »Um was genau zu tun, bitte?« Ich meine, ich kann ja wohl kaum einfach mal hüftschwingend auf Thane zustolzieren, meine Arme um seinen verschwitzten Nacken legen und meine Lippen auf seine drücken. Das käme bestimmt etwas seltsam rüber.

Sogar von hier aus kann ich sehen, wie Adrian mit den Schultern zuckt. »Keine Ahnung. Rede mit ihm. Flirte mit ihm.« In den letzten beiden Jahren hat Adrian keine einzige Gelegenheit ausgelassen, um mich mit anderen Jungs zu verkuppeln — theoretisch. Aus der Ferne. Das ist ein weiterer Grund, warum sich meine Familie absolut keine Sorgen um uns machen sollte. Er würde wohl kaum versuchen, mich an den Mann zu bringen, wenn er mich lieber für sich selbst haben wollen würde. Zu dieser unchristlichen Uhrzeit wünschte ich mir nur, er wäre nicht ganz so eifrig damit.

»Ich werde da ganz sicher nicht runtergehen!«, fauche ich. Vielleicht ein wenig zu laut …

Wie angewurzelt stehe ich da und drehe still und heimlich ein bisschen durch, weil ich total vergessen habe, dass das Fenster immer noch offen ist. Natürlich hat Thane mich gehört und dreht in diesem Moment den Kopf über seine Schulter. Sein Blick zielt mit akkurater Präzision zu mir nach oben.

Das Smartphone immer noch an mein Ohr gedrückt, spüre ich eine Schockwelle aus roter Farbe in meine Wangen schießen. Automatisch löse ich den Griff und das Handy fällt zu Boden — direkt auf meinen kleinen Zeh. Herrgott, tut das weh! Dennoch verziehe ich keinen einzigen Muskel in meinem Gesicht, denn das ist garantiert der falsche Moment, um wehleidig zu sein.

Thanes linker Mundwinkel schiebt sich nach oben. »Hi.«

Immer noch in kompletter Panik schaffe ich es nicht einmal, meine Lippen zu bewegen, aber zumindest bin ich clever genug, um stattdessen meine Hand zu einem leichten Winken zu heben.

Thane stellt seine Beine auf den Boden, lässt dann die Stange los und dreht sich zu mir um. »Du bist früh auf.«

Ja. Du auch. Na und?

Er schnappt sich das T-Shirt von der Schaukel und wischt sich damit den Schweiß vom Gesicht, ehe er es ausschüttelt und anzieht. »Ist alles okay?«

Um Himmels willen, sag ihm, dass du ihm nicht nachspioniert hast, sondern nur das Fenster zumachen wolltest, weil er so laut war! »Ich glaube, ich habe mir die Zehe gebrochen.« Jap … oder sag einfach das.

Obwohl er das Gesicht zu einer mitfühlenden Miene verzieht, entweicht ihm dennoch ein kleines Schmunzeln. »Das ist übel.«

Und wie. Aber was noch schlimmer ist — ich verwirre mich hier selbst gerade und außerdem ist mir diese Unterhaltung enorm peinlich. Ohne ein weiteres Wort schließe ich das Fenster, ziehe die Schleiervorhänge zu und hebe anschließend mein Telefon auf, um Adrians letzte Atemzüge zu hören, der in seinem Zimmer gerade vor lauter Lachen stirbt.

»Halt die Klappe!«, jammere ich zu meinem Bett hinkend und lasse mich bäuchlings auf die Matratze fallen. »Das ist nicht witzig.«

»Doch, ist es.« Und natürlich hört er nicht auf zu lachen. »Bester Flirtversuch ever, Sands.«

»Ich habe nicht versucht, mit ihm zu flirten, du Affe.«

»Ohne Scheiß.«

Ja, die Sache hier kann ich unmöglich gewinnen. »Wir sehen uns später.« Viel später. Wenn er sich wieder unter Kontrolle hat.

Nachdem ich aufgelegt habe, drücke ich mein Gesicht ins Kissen. Das kommt dabei raus, wenn sich deine Familie Sorgen um dich macht. Klingt wie der Anfang eines schlechten Witzes, echt. Dein Bruder, dein Nachbar und ein Eishockeyspieler kommen in eine Bar … Agh!

Ich erlaube mir, wegen dieser peinlichen Misere zehn Minuten in Selbstmitleid zu baden, bevor ich schlussendlich wieder aufstehe, in Jeans und einen violetten Sweater schlüpfe und ins Bad stapfe, um mir die Zähne zu putzen. Nach einem anschließenden Telefonat mit Mom, um ihr zu versichern, dass wir alle noch am Leben sind, komme ich in die stille Küche runter und gucke verstohlen durch die Terrassentür, doch es ist niemand mehr im Garten. Thane ist wohl fertig mit seinem Training. Gut. Ein halbnackter Kerl, der vor meinem Fenster am Schaukelgerüst hängt, könnte meinen Morgen sonst etwas durcheinanderbringen.

Ich mache die Kaffeemaschine an und fülle den Behälter mit frischem Wasser. Auf das ohrenbetäubende Geräusch des Mahlwerks folgt sofort ein warmer Duft von Röstkaffee. Ich atme tief ein, weil ich dieses Aroma liebe, dann mache ich mir einen Cappuccino aus dem Automaten und löffle genug Zucker in die Tasse, um einen Waschbären auszuknocken.

Nach dem ersten köstlichen Schluck lecke ich mir den Schaum von den Lippen und stecke zwei Scheiben Brot in den Toaster. Während diese knusprig werden, hole ich einen Teller aus dem Küchenschrank. Was noch? Ah, ja. Butter. All diese Handgriffe fühlen sich so früh am Morgen noch viel zu stark nach Autopilot an. Ich lehne mich kurz an die Arbeitsplatte und warte auf den Toast. Hoffentlich bringt mich das Frühstück dann endlich in die Gänge. Die Augen zugekniffen, kratze ich mich am Kopf und reiße den Mund weiter als ein Scheunentor zu einem lauten Gähnen auf. Ich schwöre, ich bringe Adrian um, wenn wir uns nachher sehen.

»Guten Morgen.«

Kann man eigentlich an seinem eigenen Gähnen ersticken? Ich glaube nämlich, das passiert mir gerade.

Bei Thanes zweiter Begrüßung an diesem Morgen, die von viel näher als vorhin kommt und außerdem auch viel weicher klingt, schnellen meine Augenlider auf und ich kappe sofort den lauten Luftstrom in meine Lungen. Er steht im Torbogen, der in den Flur führt, die Hände in den Taschen seiner ausgewaschenen Jeans und die Haare noch feucht nach einer Dusche. Ein dunkelrotes Hockeyshirt mit der Nummer siebzehn vorne auf der Brust und weißen Einsätzen an den Ellbogen hängt locker von seinen Schultern. Das ist definitiv das dämonischste Rotkehlchen, das ich je gesehen habe. Sprachlos schlucke ich den Rest meines Gähnens runter und starre ihn an wie ein eingerauchter Koala.

»Cam schläft wie ein Stein. Ich hoffe, es war okay, dass ich runtergekommen bin?«, rettet er die Unterhaltung, an der ich kläglich scheitere. »Du siehst müde aus.«

Und du siehst … HEILIGER BIMMBAMM!!!

Als er langsam um den Küchenblock zu mir herumschlendert, fällt mein Blick schüchtern auf den Boden. Je näher er kommt, desto mehr bringt er meinen Puls zum Stottern. »Ich stehe normalerweise nicht auf, bevor der Milchmann da war.«

»Tut mir leid. Habe ich dich geweckt?«

»Nur indirekt«, murmle ich. Die Verlegenheit von vorhin, als er mich dabei erwischt hat, wie ich ihn beobachtet habe, krabbelt mir langsam den Rücken hoch und erhitzt meinen Nacken. Wir sollten lieber das Thema wechseln. »Bist du ein Morgenmensch? Ich kenne niemanden sonst, der so früh schon Sport treibt.« Und schon sind wir wieder genau da, wo wir nicht hinwollten. Gut gemacht, Sandy!

»Nicht wirklich.« Grinsend lehnt er sich sehr viel näher, damit ich sein vertrauliches Flüstern hören kann. »Aber hast du deinen Bruder schon einmal schnarchen gehört?«

»Ja!« Thane bringt mich zum Lachen und verursacht mir gleichzeitig eine recht merkwürdige Gänsehaut, weil er so nahe ist und total gut riecht — wie eine Handvoll Schnee, die im Frühling mit den ersten Sonnenstrahlen schmilzt. Mein Lachen verebbt, sobald ich einen tiefen Atemzug davon durch die Nase einsauge, weil mein Körper heute total unkooperativ ist und macht, was er will. Aber es wäre auch eine fürchterliche Verschwendung gewesen, diesen Duft einfach zu verschmähen. Trotzdem hasse ich es, wenn mein Körper schneller reagiert als mein Hirn, und im nächsten Augenblick kribbeln meine hochroten Wangen. Die Lippen zwischen die Zähne gezogen und den Blick abgewandt, rutsche ich einen Schritt an der Theke entlang von ihm weg, bis ich in der Ecke lande.

Und Thane folgt mir.

Echt jetzt? Ich bin gefesselt von seinen funkelnden Augen, doch jedes Wort, das ich sagen könnte, bleibt für immer in meinem Hals stecken. Mich macht all das hier ziemlich nervös, weil ich absolut keine Ahnung habe, was er von mir will.

Thane neigt den Kopf ein wenig. Anscheinend genießt er dieses Spielchen mit mir wirklich, denn es besteht nicht die geringste Chance, dass er mein Unbehagen übersehen könnte. »Mmh… Macht es dir etwas aus, wenn ich mir eine Tasse Kaffee nehme?«, fragt er mit neckischem Ton und schielt dabei kurz zur Kaffeemaschine hinter mir, um seinen Standpunkt klarzumachen. »Oder verteidigst du den Automaten mit deinem Leben … Sandra Michelle

Na gut, der Punkt geht an ihn. Mit einem kleinen Lächeln verdrehe ich die Augen und lasse den Atem los, den ich bis jetzt angehalten habe. Ich sollte wohl auch gleich den Schläger aus dem Flur holen, nur für seine Genugtuung. »Natürlich nicht.« Aus dem Schrank hinter mir nehme ich eine zweite Tasse heraus und lasse sie unter der Maschine volllaufen. Ich überreiche sie ihm mit den warmen Worten: »Sandy … reicht völlig.«

Thane antwortet mit seinem ganz persönlichen Sonnenaufgangslächeln. »Danke schön, Sandy.« Seine Finger streifen meine, als er die Tasse aus meiner Hand nimmt, und ich habe keine Ahnung, ob das Absicht war oder nur ein dummer Zufall. Fange ich jetzt vielleicht schon an, mir Dinge einzubilden? Sie mir zu wünschen? Oder verblöde ich etwa komplett, nur weil ein Eishockey-Hottie heute Morgen Klimmzüge vor meinem Fenster gemacht hat?

Mein Blick haftet immer noch an seinen schlanken Fingern um die Tasse, als die krossen Scheiben aus dem Toaster hüpfen und mich zu Tode erschrecken, weil ich die letzten paar Sekunden völlig in einer anderen Welt versunken war.

Grundgütiger! Heiße und kalte Schauer wechseln sich heute wohl im Dauerlauf auf meinem Rücken ab.

Während ich den Toast auf meinen Teller lege und eine dünne Schicht Butter auf beide Scheiben streiche, lehnt Thane sich wie ich vorhin mit dem Rücken an die Theke, nur dass es bei ihm eher der Hintern statt des Rückens ist, weil er mich doch um ein ganzes Stück überragt. Er nimmt einen entspannten Schluck und kehrt dann mühelos zu unserem Gespräch zurück. »Also … Cam sagt, du bist zwölf?«

»Wie bitte?!« Mein Kopf zuckt hoch und meine Hand versteinert mitten unterm Butterschmieren. »Dieser Vollidiot!«

Thane hält die Tasse immer noch nahe an seine Lippen und beobachtet mich aus dem Augenwinkel. »Stimmt das nicht?«

Ohne Ende frustriert über meinen abwesenden und ignoranten Bruder, drehe ich mich mit dem ganzen Körper zu Thane und setze eine zynische Miene auf. »Ich werde am Samstag siebzehn.«

Sein neugieriger Blick hält meinen für eine weitere Sekunde fest. »Ist das so…?«, murmelt er dabei, ehe seine Augen unter den langen, dunklen Wimpern verschwinden.

Ich blinzle heftig, was er nicht mehr sehen kann, und wende mich letztlich wieder meinem Frühstück zu. Fertig mit der Butter, stelle ich sie zurück in den Kühlschrank und versuche anschließend an die Marmelade im Regal über Thanes Kopf zu kommen. Automatisch macht er einen kleinen Schritt zur Seite, um mir Platz zu schaffen, wobei er fragt: »Was machst du denn um diese Zeit normalerweise in deinen Sommerferien?«

Mit der Hand noch am Griff der Oberschranktür, werfe ich ihm einen verschmitzten Blick von der Seite zu und grinse. »Schlafen?«

Das entlockt ihm ein Schmunzeln. »Du willst mir jetzt ein richtig schlechtes Gewissen machen, nicht wahr?«

»Nö«, necke ich ihn und strecke kurz die Zunge raus. »Nur ganz wenig.« Doch als ich endlich den Schrank öffne und hochschaue, entwischt mir ein weiteres frustriertes Grunzen. Cameron!

Offenbar hat sich mein Bruder gestern noch einen Mitternachtssnack gemacht und die Himbeermarmelade danach aufs oberste Regal gestellt, das zu hoch für mich ist, um es zu erreichen. Ich will jetzt aber keinen Stuhl in die Küche zerren, was mich vor Thane nur hilflos und klein wirken lassen würde, deshalb stelle ich mich auf die Zehenspitzen, stütze mich mit einer Hand auf der Theke ab und strecke mich wie ein Bär nach einem Honigtopf. Leider streifen meine Finger aber nur kaum spürbar über das Glas.

»Da du schon einmal auf bist, hast du irgendwelche Pläne für heute?«, fragt Thane lässig, wobei er näher kommt und das Marmeladeglas für mich aus dem Regal nimmt. Seine Brust drückt sich dabei leicht an meine Seite. Ich rutsche an seinem Körper entlang zurück auf meine Fußsohlen und versinke in einer weiteren Duftwolke von schmelzendem Schnee. Junge! Wie kann jemand nur so gut riechen und nicht sofort zu Parfüm verarbeitet werden?

»Nach dem Essen treffe ich mich mit Adrian«, antworte ich mit überraschend zaghafter Stimme und drehe den Kopf dabei nur leicht, sodass ich ihn um seinen Arm herum ansehen kann.

»Das bedeutet, ich könnte dich bis … sagen wir Mittag, ausleihen?«

»Wieso?« In Gottes Namen!

Wir nehmen beide unsere Arme viel zu langsam runter, und Thane übergibt mir die Himbeermarmelade. »Weil dein Bruder wahrscheinlich noch so lange schlafen wird.«

Stimmt. Häng ein halbnacktes Mädchen an ein Schaukelgerüst vor seinem Fenster und er ist garantiert in einem Wimpernschlag aus dem Bett. Aber das meinte ich gar nicht. Planlos ziehe ich die Augenbrauen eine Spur tiefer. »Nein, ich meinte, warum willst du mich ausborgen

Thane zuckt mit den Schultern, was gleichzeitig anscheinend auch der Ein-Schalter für sein Bitte-bitte-Lächeln ist. »Weil ich gerne etwas mehr von eurer kleinen Stadt sehen möchte und du bestimmt eine großartige Reiseführerin abgibst.«

Mein Gesicht skeptisch in Falten gelegt, mustere ich ihn von der Seite, wobei ich das Marmeladeglas aufschraube. »Du willst eine Sightseeing-Tour machen?« Das hier ist Oakspeak, um Himmels willen. Wir haben genau ein Rathaus und eine langsam verfallende Zughaltestelle. Das ist alles. »Ich enttäusche dich ja nur ungern, aber hier gibt es wirklich nicht viel zu sehen.«

»Mir bleibt die Wahl zwischen Sightseeing oder den ganzen Vormittag auf der Couch rumhängen, bis dein Bruder von den Toten aufersteht«, meint er und geht um die Kücheninsel herum. Unterwegs grinst er aber noch über seine Schulter zu mir zurück. »Und ich denke nicht, dass du mich enttäuschen könntest.«

Es kann nur an dem warmen Gefühl liegen, das er mir damit beschert, weshalb ich tatsächlich leise antworte: »Okay …«

Thane schiebt sich halb auf einen Barhocker und blickt mich mit hoffnungsvollen Augen an. »Kann ich bitte etwas Zucker für meinen Kaffee haben?« Er sieht aus wie der süßeste kleine Junge, der nach Weihnachtsgeschenken fragt, ohne zu wissen, ob überhaupt schon Weihnachten ist oder nicht.

Meine Wangen schieben sich mit einem aufkommenden Lächeln nach oben. »Weißt du was?« Ich folge ihm mit meinem Frühstück um den Küchenblock herum und setze mich neben ihn. »Da du die nächsten paar Tage sowieso hier ein- und ausgehen wirst, als wärst du Teil dieser Familie, geht es wohl in Ordnung, wenn du dich hier auch wie zu Hause fühlst. Zucker ist in der gelben Porzellandose dort oben.« Ich zeige auf den Küchenschrank über der Kaffeemaschine. »Und wenn du Hunger hast, komm einfach runter und nimm dir, was immer du willst.«

Seine Augen werden unter den schwarzen Augenbrauen schmal und dunkel. »Ohne vorher zu fragen?«

Ich knabbere an einer Ecke meines Toasts. »Mm-hmm.«

»Wirklich? Du meinst alles?«

»Ja, ich meine alles«, versichere ich ihm nun lachend und mit halbvollem Mund. »Außer meine Oreos. Wenn du am Leben bleiben willst, fass sie besser nicht an.« Diese Warnung sollte er sehr ernstnehmen. Ich bin süchtig nach den Keksen.

Als sein Blick daraufhin an meinem Körper nach unten wandert und sofort danach wieder in mein Gesicht zurückkehrt, verdrehe ich die Augen, weil mir bewusst wird, dass ich das wohl eben herausgefordert habe. Man muss ihm allerdings zugutehalten, dass er sein verschlagenes Grinsen zu neunzig Prozent im Zaum hält. »Hab verstanden. Kann alles haben. Nur keine Oreos.« Er lässt den Becher auf der Anrichte stehen und holt die Zuckerdose vom Regal, zu dem ich ihn dirigiert habe. Sobald er wieder neben mir steht — setzen ist wohl nicht mehr — löffelt er eine vorsichtige Spitze davon in seinen Kaffee. Dann greift er zu meinem Teller herüber und stibitzt meine zweite Toastscheibe.

Scharf protestierend reiße ich meine Augen auf. »Hey!«

»Was ist? Du hast gesagt: alles.« Und da erscheint wieder dieses Grübchen in seiner linken Wange. Ein Sternenschauer aus Übermut rieselt durch seine Augen, als er die Brauen einmal nach oben zieht und herausfordernd vom Toast abbeißt. Dann lehnt er sich näher, hält dabei aber immer noch intensiv meinen Blick fest, und fügt in einer rauen Stimme hinzu, die mir ein Kribbeln im Bauch beschert: »Sei froh, dass ich mir nicht das Milky Way geschnappt habe.«

Fast klappt mir die Kinnlade runter, doch ich erinnere mich gerade noch rechtzeitig daran, dass ich den Mund voller Essen habe, und so schlucke ich stattdessen laut. Thane schmunzelt, ganz offensichtlich zufrieden, dass er dieses Spiel gewonnen hat. Er dreht sich um und geht hinaus auf die Terrasse — mit seinem Kaffee und meinem Toast. »Sag Bescheid, wenn du fertig bist!«, ruft er mir noch zu und klingt dabei wieder völlig normal und nicht mehr wie ein mädchenvernaschender Hockey-Hottie.

Oder vielleicht doch … nur etwas sanfter.

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Na, neugierig, wie’s weitergeht? 😉

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