RYAN HUNTER – This girl is mine
Grover Beach High, 2
Kapitel 1
ICH WAR SCHON mit mehr als genug Mädchen in der Highschool zusammen gewesen, das war mit Sicherheit kein Geheimnis. Doch verliebt war ich noch nie. Na ja, zumindest nicht in eines der Mädchen, mit denen ich bisher ausgegangen war.
Und dennoch gab es da … sie. Gerade stieg sie aus Mitchells Auto, warf ihr langes braunes Haar über die Schulter zurück und streifte sich das rosa T-Shirt glatt, das hauteng an ihr klebte und all die wirklich guten Stellen betonte. Die grelle Morgensonne blendete sie, sodass sie ihre Augen zusammenkniff und ihre Mundwinkel etwas nach oben wanderten, was ihrem süßen Lächeln ziemlich nahe kam. Und wie jedes Mal, wenn mein Blick an Liza Matthews hängenblieb, stand die Welt für einen Augenblick still.
Liza sah nicht zu mir rüber. Das tat sie nie. Und warum sollte sie auch? Ihr Universum rotierte einzig und allein um meinen Mannschaftskameraden, Tony Mitchell. Schon seit ich ihn kannte, kam er immer im Doppelpack. Manche Schüler bezeichneten die beiden einfach nur als M&M. Ich hasste diesen Ausdruck. Hasste, wie Liza sich gerade auf die Zehenspitzen stellte und ihre Arme um Mitchells Hals schlang. Hasste, wie …
Verfluchter Mist! Wollte sie ihn etwa küssen? Jeder Muskel in meinem Körper verkrampfte sich, als hätte ich an einen 220-Volt-Zaun gefasst. Herr Gott, Hunter, reiß dich zusammen! Ich würde mir hier vor meinen Fußballfreunden keine solche Blöße geben und zwang mich locker zu werden. Was mir nicht gelang, sodass ich steif wie ein Bügelbrett da stand und meinen Blick nicht von den beiden losreißen konnte.
Bisher hatten sie sich noch nie geküsst. Liza war total in Tony verknallt und ich war bereit, meine Need for Speed-Kollektion darauf zu verwetten, dass Tony sie auf seine ganz eigene, seltsame Weise ebenfalls liebte. Doch er hatte sie nie geküsst. Und das war auch besser so, denn hätte er es getan, hätte mich wohl niemand daran hindern können, seine Nase neu auszurichten.
„Entspann dich, Kumpel. Es ist ja nur ein Kuss auf die Wange.“
Ich drehte mich zu Justin um, der sich gerade angeschlichen und mir auf die Schulter geklopft hatte, und ließ diesen nur allzu vertrauten Seufzer los, der mir jedes Mal im Hals stecken blieb, wenn Liza Mitchell zu nahe kam.
„Um Mitchells willen hoffe ich das. Gerade heute würde ich nur ungern einen guten Freund um die Ecke bringen müssen.“ Ich grinste und gab Justin den Ghettohandschlag, den wir draufhatten, seit wir die Grundschule verlassen hatten und zu den coolen Kids geworden waren, die durch die Korridore der Grover Beach High streiften … niemals etwas Gutes im Sinn.
Justin Andrews spielte nicht für die Bay Sharks, das Highschool Fußballteam, dessen Kapitän rein zufällig ich war. Er spielte lieber mit seinem Leben. Seine Leidenschaft galt seinem BMX-Rad. Was er damit im Stande war anzustellen, war geradezu unglaublich … und nur etwas für Leute mit dem ernstzunehmenden Wunsch zu sterben. Stunts, wie mit seinem Rad von einer Brücke zu springen oder fahrend über einen Lattenzaun zu balancieren, standen für ihn auf der Tagesordnung und brachten ihm nicht selten diverse geprellte Knochen oder ein abgefahrenes blaues Auge ein.
Heute war Justin gekommen, um sich von seinem kleinen Bruder, der nur ein Jahr jünger als wir und Mittelstürmer in meiner Mannschaft war, zu verabschieden. Justin nickte in Lizas Richtung. „Willst du nicht endlich rübergehen und dem Mädchen Auf Wiedersehen sagen?“
„Wozu sollte das gut sein? Wir haben es ja bisher noch nicht einmal zu einem einfachen Hallo geschafft.“
„Jetzt hör mal, wenn sie nach zehn Jahren immer noch kein Paar sind, dann werden sie vermutlich nie eines werden. Es wird langsam Zeit, sie über die anderen Fische im Wasser – die versuchen, einen Bissen von ihr abzubekommen – in Kenntnis zu setzen.“ Justin kratzte sich grübelnd am Kinn. „Wenn du es nicht tust, mach ich’s vielleicht. Schließlich seid ihr, du und Mitchell, ja nun für fünf Wochen in diesem Trainingslager und aus der Schusslinie.“
Ich schlang meinen Arm kameradschaftlich um seinen Hals, hatte meinen Freund im Schwitzkasten und drückte ein klein wenig fester zu als nötig. Noch etwas länger und mein Kumpel würde blau anlaufen. „Versuchs, Andrews! Aber du weißt, dass nicht einmal das FBI hinterher deine Leiche finden würde.“
Ich lachte, als Justin mir den Ellenbogen in die Rippen stieß, und ließ ihn los. Wir alberten ein wenig herum und kümmerten uns nicht um die missbilligenden Blicke, die uns einige der Schüler und deren Eltern zuwarfen, bis eine vertraute Stimme meinen Namen rief.
Meine Schwester kam zu uns und verschlang mich in einer Umarmung, aus der es unmöglich war zu entkommen. „Ich muss jetzt los. Phil wartet schon. Pass auf dich auf, kleiner Bruder.“
„Mach ich.“ Ich wehrte mich heftig, als sie mich auf die Wange küsste. Zuhause, wo es keiner sah, war das okay. Aber doch nicht hier, vor all meinen Freunden. „Lass das gefälligst, Rach. Ich dachte Phil wartet auf dich. Küss ihn. Und kümmere dich um Mom und Dad, solange ich weg bin.“
„Ich bin sicher, sie sind alt genug, um auf sich selbst aufzupassen. Aber ich werde hin und wieder mal zum Abendessen rein schneien, wenn sie sich einsam fühlen und ihr geliebtes Baby vermissen.“ Lachend kniff sie mich in die Wange. Dann bahnte sie sich einen Weg durch die Menge zurück zum Parkplatz des Bahnhofes.
Einige der Kids stiegen bereits in den Zug und winkten ihren Eltern aus den offenen Fenstern. Ich bückte mich, schnappte mir meine Sporttasche und schlenderte anschließend zum Wagon, als mein Blick auf das Letzte fiel, das ich an diesem Morgen sehen wollte. Liza und Mitchell in einer Umarmung, in welcher sie ihren perfekten Körper fest an seinen presste. Er lehnte sich die paar Zentimeter, die er größer war als sie, zu ihr herab und flüsterte ihr etwas ins Ohr, woraufhin sie verführerisch errötete.
„Du meine Güte, du bist wirklich bemitleidenswert.“ Erst als Justin mich weiter vorwärts schob, bemerkte ich, dass ich stehen geblieben war.
Zähneknirschend richtete ich meinem Blick starr auf den sicheren Boden und marschierte zielstrebig an Mitchell und dem Mädchen, von dem ich schon seit der fünften Klasse träumte, vorbei.
„Hey, Hunter!“, rief Tony hinter mir.
Ich sollte so tun als hätte ich nichts gehört und einfach weitergehen. Ich würde Tony ja sowieso in ein paar Minuten im Zug sehen. Aber der schwächere Teil in mir siegte. Ich drehte mich um und blickte gerade in dem Moment hoch, als Tony mein Mädchen losließ.
„Hi, Mitchell“, antwortete ich, als mein Blick außer Kontrolle geriet und sich verselbständigte … in Richtung Liza. Ich verschlang jeden Quadratzentimeter ihrer sonnengebräunten Haut, den ihre verboten-kurzen Shorts preisgaben. „Und Mitchells Groupie“, fügte ich mit einem gespielt lässigen Grinsen hinzu.
Liza sagte weder Guten Morgen noch Wie geht’s oder auch nur Verpiss dich, Hunter, und sprich nie wieder mit mir – obwohl Letzteres doch ziemlich offensichtlich in ihren grünen Augen geschrieben stand, die jedes Mal, wenn sie mich sah, diese dämonische Tiefe annahmen. Ich wusste, dass sie nicht zu meinen größten Fans gehörte. Nicht, weil sie mich nicht leiden konnte, sondern weil sie mich persönlich dafür verantwortlich machte, dass ich ihr wertvolle Zeit mit Tony stahl. Mitchell hatte so etwas in der Art angedeutet, als sie mich beinahe angeknurrte hatte, weil ich es gewagt hatte, die Trainingseinheiten zu verdoppeln, um unser Team auf Vordermann zu bringen. Tja, das war eben so.
„Wir sehen uns nachher“, sagte ich zu Mitchell und ging weiter.
„Halte mir einen Platz frei!“
Ohne mich umzudrehen, winkte ich über meine Schulter. „Geht klar.“
Wenn Justin und ich nicht gerade irgendwelchen Blödsinn trieben, hing ich immer mit den Jungs aus meinem Team ab. Wir standen uns echt nahe und damit meine ich näher als Familie-nahe. Trotzdem wusste keiner der Jungs von meiner Schwärmerei für dieses Mädchen, das nur Augen für meinen besten Spieler hatte. Tja, manchmal musste man eben mit dem Mist klarkommen, den einem das Leben vor die Füße knallte.
Ich stieg in den Wagon, drehte mich um und gab Justin zum Abschied einen Faust-an-Faust-Stoß.
„Genieß die Sonne in Santa Monica“, sagte er. „Die Hasen dort sollen ja unglaublich heiß sein.“
„Ich werd’s herausfinden und lass es dich dann wissen.“ Vielleicht. Falls ich Liza lange genug aus meinen Gedanken verbannen konnte, um mich mit einem anderen Mädchen zu verabreden – etwas, das ich schon seit einiger Zeit nicht mehr getan hatte. Wenn dieser Wahnsinn noch länger andauern würde, war mein Ruf als Casanova ernsthaft in Gefahr. Und ich hatte diese seltsame Vermutung, dass es für mich noch sehr viel schlimmer werden würde.
Justin hielt mir seinen ausgestreckten Zeigefinger ins Gesicht. „Und pass ja gut auf Nick auf. Wenn er bei eurer Rückkehr auch nur eine Schramme hat, mache ich dich persönlich dafür verantwortlich.“
Im Gegenzug hob ich meinen Arm und hielt ihm meinen Mittelfinger vor die Nase. „Ja genau …“
Wir wussten beide, dass sein kleiner Bruder ein wenig, tja wie soll ich sagen, zu Unfällen neigte. Was auch immer in den nächsten fünf Wochen passieren würde, Nick würde so oder so mit Gips nach Hause kommen. Die Frage war nur, welcher Knochen gebrochen sein würde. Einige der Jungs im Team hatten eine Wette am Laufen. Ich war mit zwanzig Dollar eingestiegen und tippte auf irgendeinen Finger der linken Hand, aber davon erfuhr Justin besser nichts.
Ich fand Frederickson und Alex Winter in einem Zugabteil für vier Personen ziemlich in der Mitte des Zuges. Wir warteten bis Tony zu uns stieß, schlossen die verspiegelte Schiebetür und machten es uns für die bevorstehende dreistündige Zugfahrt gemütlich. Wir hatten Chips, wir hatten Malzbier, und wir waren nur unter uns Männern. In diesem Moment beschloss ich für mich, dass die nächsten fünf Wochen eine verdammt gute Zeit für uns alle werden würden. Doch dann schweifte mein Blick zum Fenster hinaus und ich sah Liza mit einem traurigen Ausdruck in den Augen am Bahnsteig stehen, die Arme fest um ihre Taille geschlungen.
Ja, und wenn dieser rührselige Blick mir und nicht einem meiner besten Freunde gegolten hätte, dann hätte ich an diesem Morgen Grover Beach wohl mit einem noch viel besseren Gefühl im Bauch verlassen.
*
Die ersten drei Tage im Trainingslager waren die Hölle. Wir spielten nach einem verdammt harten Stundenplan, und wenn wir abends den Platz verließen, brannten unsere Beine wie Feuer. Zu diesem Zeitpunkt interessierte uns nur noch, wo wir etwas zu essen bekamen und anschließend kippten wir erschlagen in unsere Betten. Doch schon bald gewöhnten wir uns an den Drill. Am vierten Tag beschlossen Mitchell, Winter, Frederickson und ich schließlich, die Camp-Regeln zu unseren Gunsten ein wenig liberaler auszulegen und schlichen uns nach Einbruch der Dunkelheit aus dem Lager.
In Santa Monica gab es einige echt coole Bars zum Abhängen. Es gab zwar keinen Alkohol im The Teen Spirit, aber das machte uns nichts aus. Die Musik war ganz in Ordnung und fürs Auge gab’s da auch etwas. Es dauerte gerade mal vier Minuten, bis eine Gruppe Mädchen unseren Tisch umzingelte. Zwei von ihnen trugen etwas Schwarzes, dessen Länge den Aufnahmetest eines richtigen Kleides wohl kaum bestanden hätte, und der Rest war in hautenge Jeans gepresst und trug Tops, die freie Sicht auf ihre Bauchnabel gaben.
„Hey, Jungs“, sagte eine von ihnen und klimperte mit ihren Wimpern in meine Richtung. Ich schätzte sie auf knappe siebzehn, also ein Jahr jünger als ich es war. „Normalerweise kennen wir alle hübschen Gesichter in diesem Club. Ihr seid wohl zum ersten Mal hier?“
Okay, sie war wohl eine von der mutigen Sorte, und das nicht nur, weil sie es wagte, in Schuhen hierher zu kommen, deren Absätze länger waren als mein Mittelfinger und welche ihr sichtlich Probleme bereiteten, wackelfrei zu gehen. Ich fragte mich, ob sie den Spruch von gerade eben auch losgelassen hätte, wenn sie alleine vor uns stünde, ohne ihr Löwinnen-Rudel, das ihr den Rücken stärkte.
„Wir sind hier um ein wenig Fußball zu spielen, gleich vor der Stadt in einem Trainingslager“, antwortete ich. „In den nächsten paar Wochen werdet ihr also genug Zeit haben, euch an uns zu gewöhnen.“
Ein breites, einladendes Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie streifte sich ihr langes brünettes Haar hinters Ohr, wodurch ihre Ohrringe, so groß wie Hula-Reifen, zum Vorschein kamen. „Was dagegen, wenn wir uns zu euch setzen?“
„Macht nur.“ Ich zog einen Stuhl vom leeren Nachbartisch heran, sodass sie neben mir Platz nehmen konnte. Keine Ahnung, warum ich das tat. Vielleicht, weil Frederickson ein so fürchterlich hoffnungsvolles Gesicht machte, oder auch nur, weil es eine alte Angewohnheit von mir war. Aus welchem Grund auch immer, ich bereute meine Entscheidung in dem Moment, als auch die anderen Mädchen sich Stühle griffen, sich zwischen uns Jungs quetschten, und das Hula-Mädel so nahe zu mir heran rutschte, dass sich unsere Oberschenkel unter dem Tisch berührten.
Als echte Gentlemen – zumindest heute Abend – spendierten wir den Ladies eine Runde Limo und unterhielten uns über eher oberflächliche Themen mit ihnen, doch außer Frederickson war in unserer Jungengruppe niemand so wirklich angetan von dem Fang, den wir gemacht hatten. Das Mädchen neben mir, dessen Name übrigens Sandy war, wie ich herausgefunden hatte, bestellte ein Mineralwasser mit Zitrone und lehnte sich dann etwas zu weit zu mir rüber um sich zu bedanken.
Als ich in ihr Gesicht sah, wurde mir zum ersten Mal so richtig klar, wie sehr viel mehr mir doch Mädchen gefielen, deren Haut pH-neutral war. Natürlich und nicht vom Kinn bis zum Haaransatz mit Farbe zugekleistert. Ich lehnte mich automatisch ein wenig zurück. Schlussendlich vergrößerte ich den Abstand zwischen uns um einen soliden, halben Meter. Es war nicht nur der Zement in ihrem Gesicht, der mich abschreckte. Offenbar hatte sie vor dem Ausgehen auch noch in der Parfumflasche ihrer Mutter gebadet, was ekelhaft in meiner Nase kratzte.
Ich hatte schon eine Million Mal neben Liza gestanden. Ihr blumiges Shampoo und Duschgel hatten es noch nie geschafft, dass sich meine Zehen in den Schuhen einkrallten.
Mitchell hatte offenbar seine eigenen Probleme, eine kleine Rothaarige abzublocken, die mit einem anzüglichen Lächeln ihr verdrahtetes Gebiss präsentierte. Eigentlich war sie ja ganz süß. Ich fragte mich, ob Mitchell sie nur deshalb abwehrte, weil in seinen Gedanken das gleiche Mädchen herumspukte wie in meinen. Wir hielten eine knappe Stunde mit unseren Verehrerinnen durch, doch letztendlich warf mir Tony einen vielsagenden Blick zu, der nur eines heißen konnte: Lass uns abhauen! Und zwar so schnell wie möglich.
Mit einer eher lahmen Entschuldigung verabschiedeten wir uns von den Mädchen. Es war zwar nicht wirklich gelogen, dass wir nicht zu lange wegbleiben konnten, weil wir sonst aus dem Lager geworfen würden, doch die Konsequenzen kratzten uns nicht wirklich.
„Werdet ihr am Wochenende wieder hier sein?“, fragte Sandy, wickelte dabei eine Haarsträhne um ihren Finger und warf mir einen erwartungsvollen Blick zu. Um Himmels willen, wer hatte dem Mädchen beigebracht, wie man flirtet? Es schien, als hätte sie sich mit ihren Freundinnen die fürchterlichsten Liebesfilme angesehen und dabei auch noch Notizen gemacht.
Okay, vielleicht war es nicht ganz so übel und vor einigen Monaten wäre ich vermutlich sogar noch auf ihr Getue angesprungen, aber heute Abend war ich nicht in der Stimmung.
„Wir werden sehen“, antwortete ich. „Doch sollten wir wieder hierher kommen, dann bestimmt nicht allein, sondern mit unseren Freundinnen. Diese Runde wird so also nicht mehr zustande kommen.“
Das ließ sie zurückweichen und ich fühlte mich nicht im Geringsten schuldig für diese Notlüge. Ich tippte Frederickson auf die Schulter und unterbrach ihn beim Knutschen mit einem Mädchen, dessen Haar noch röter war als seins. „Wir machen die Fliege, Mann. Kommst du mit?“
Er biss sich auf die Unterlippe. Offenbar fiel ihm die Entscheidung alles andere als leicht. Doch schließlich entknoteten er und das Mädchen, das er Kelly nannte, sich, und er marschierte mit uns zur Tür hinaus.
„Oh Mann. Noch nie war ich so erleichtert, von einer Horde Mädchen wegzukommen“, meinte Mitchell, als wir alle über den Maschendrahtzaun auf das Gelände des Lagers zurück kletterten.
„Warum?“, murmelte Frederickson. „Die Mädels waren gut drauf. Was ist dein Problem? Jetzt sag nicht, du hättest nicht auch daran gedacht, die Kleine mit der Zahnspange flachzulegen.“
Dafür verpassten Tony und ich ihm gleichzeitig eine auf den Hinterkopf.
„Ich kann es nicht leiden, wenn jemand das Wort Nein nicht akzeptiert“, erklärte ich, während ich für die anderen die Tür zur Jugendherberge offen hielt. Sandys Hand auf meinem Knie hatte das Wort garantiert noch nie gehört.
Wir kletterten in die Stockbetten und machten das Licht aus.
*
Als wir am nächsten Morgen auf den Platz marschierten, ahnten wir sofort, dass heute ein besonderer Trainingstag stattfinden würde. Eine Gruppe junger Fußballspielerinnen saß auf dem Rasen und wartete offensichtlich auf uns. Dieses Jahr war der erste Sommer, in dem auch Mädchen im Camp zugelassen waren, und anfangs dachte ich noch, das sei eine nette Idee. Aber als uns der Coach aufforderte, uns in gemischte Teams aufzuteilen, überfiel mich ein Hauch von Skepsis.
Noch nie zuvor hatten wir mit Mädchen gemeinsam gespielt. Die waren zimperlich und zerbrechlich und sollten definitiv nicht mit einer Horde Rowdys wie uns aufs Feld laufen.
„Hi, Hunter“, grüßten mich zwei Mädchen aus meinem Chemieunterreicht.
„Hey, McNeal, Summers“, gab ich zurück, ohne bei den beiden Blondinen stehen zu bleiben.
Was ich so in den letzten Tagen mitbekommen hatte, war Chloe Summers eine ganz gute Spielerin. Brinna McNeals Aufgabe als ihre beste Freundin bestand dann wohl darin, an ihren Fersen zu kleben wie Kaugummi, egal worum es ging.
Um diverse Knochenbrüche zu vermeiden – bei den Mädchen natürlich – gingen es die Jungs und ich ausnahmsweise etwas ruhiger an. Das war vielleicht töricht von uns. Noch vor Ende der ersten Halbzeit hatte Chloe mich bereits dreimal gefoult, und ich spreche hier nicht von sanften Mädchenfouls. Zweimal war sie mit Volldampf in mich hinein gekracht und beim letzten Mal hakte sie ihr rechtes Bein um meinen Knöchel, sodass ich erst zwei Meter durch die Luft flog und dann mit einem Bauchklatscher auf dem Rasen landete.
Es dauerte einen Moment, bis ich wieder Luft in meine Lungen pumpen und aufstehen konnte. Dann stapfte ich angepisst zu ihr rüber. Da Chloe mit ihren einsfünfundsiebzig annähernd so groß war wie ich, fiel es mir leicht meine Stirn gegen ihre zu pressen und in ihr Gesicht zu knurren. „Oh, du bist so eine Lady, Summers!“
„Hab ich etwa deine Gefühle verletzt, Hunter? Das tut mir leid“, erwiderte sie mit einem bittersüßen Grinsen, das speziell dazu zu dienen schien, großen Ärger zu verheißen. „Können wir jetzt weiterspielen oder brauchst du noch eine Minute, um dich zu erholen?“
Ich kannte Chloe schon mein ganzes Leben lang, denn sie wohnte nur ein paar Straßen weiter, und sie hatte mich nie auch nur im Geringsten interessiert. Aber an diesem Tag hinterließ ihr aggressiver Stil einen tiefen Eindruck bei mir. Nach weiteren zwei Wochen, in denen wir hin und wieder ein gemischtes Team aufstellten, entschied ich, dass es an der Zeit war, eine Idee mit den Jungs zu besprechen.
The Teen Spirit war genau der richtige Ort dafür.
Wir waren nicht mehr dort gewesen, seit jener Nacht, in welcher wir uns aus dem Lager geschlichen hatten. Ich fragte mich, ob wir heute Abend wieder auf Sandy und ihr Löwinnen-Pack stoßen würden. Ein seltsames Schuldgefühl wegen der dämlichen Lüge mit den Freundinnen überkam mich, als wir den Club betraten. Und es verstärkte sich, als wir die Mädchen nahe am Eingang bei der Bar stehen sahen. Allerdings war auch Chloe in der Nähe, was gut in meine Pläne für das Gespräch mit den Jungs passte.
Zu Fredericksons großer Enttäuschung suchten wir uns einen Tisch viel weiter hinten – am völlig anderen Ende. Der Club war zum Bersten voll an diesem Samstagabend, wodurch wir die Mädchen ziemlich schnell aus den Augen verloren.
„Ich hab nachgedacht“, begann ich, nur um sogleich von Alex unterbrochen zu werden.
„Nachgedacht, so, so! Nennt man das heutzutage so?“
„Halt die Klappe, Winter!“ Ich versetzte ihm einen leichten Stoß gegen die Schulter und begann dann noch einmal von vorne. „Also, was haltet ihr davon, zuhause ein gemischtes Fußballteam auf die Beine zu stellen?“
Alle sieben, die heute mitgekommen waren, lehnten sich vor und stützten ihre Ellenbogen auf den Tisch. „Wie bitte?“
„Nicht für immer. Aber ihr habt ja selbst gesehen, dass das gemeinsame Training nicht ganz so übel war, wie wir erwartet hatten. Ich dachte daran, die Einheiten aufzuteilen. Zweimal die Woche mit den Mädels und die anderen beiden Male ohne sie.“
„Falls sie überhaupt Interesse haben“, gab Tony zu bedenken.
„Als wir reinkamen, hab ich Chloe und ihre Freundinnen vorne im Club gesehen. Wenn ihr alle einverstanden seid, hole ich sie zu uns und wir können die Einzelheiten mit ihnen besprechen.“
Erst herrschte nur kollektives Schweigen, doch nach und nach begannen die Jungs einer nach dem anderen zu grinsen.
„Klingt doch cool“, sagte Frederickson. „Ich bin dabei.“
Ich wusste schon vorher, dass er am einfachsten zu überzeugen sein würde, denn unter all den Jungs hatte er den meisten Spaß am Spiel mit den Mädchen gehabt.
Mitchell verzog skeptisch das Gesicht. „Ich weiß nicht. Immerhin werden wir sowieso nie ein großes gemischtes Match spielen können. Also warum die Trainingszeit opfern?“
„Wir werden vielleicht keine bedeutungsvollen Matches mit ihnen spielen, aber ich weiß, dass Hamilton High ein gemischtes Team hat, und wenn ich mich nicht völlig irre, haben auch die Riverfalls Rabid Wolves Mädchen in ihrer Mannschaft. Das sind zwei Teams, die wir hin und wieder zu einem Freundschaftsspiel einladen könnten.“ Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter und lachte. „Wenn es dir irgendwie hilft, kannst du ja auch deine Freundin in die Mannschaft holen.“
„Wen? Liz?“ Er zog beide Augenbrauen hoch. „Sie würde eher einen Leprakranken als einen Fußball anfassen. Und sie ist nicht meine Freundin.“
„Ja, sicher“, veralberte ich ihn. Aber die Wahrheit aus dem Mund meines Freundes zu hören tat unglaublich gut. „Also, was ist jetzt? Fragen wir die Mädchen oder nicht?“
Die Jungs stimmten einhellig zu. Ich stand auf und wühlte mich durch die Menge in den vorderen Teil des Clubs, wo ich Chloe, Brinna und drei weitere ihrer Freundinnen zuletzt gesehen hatte. Verdammt, gleich neben ihnen standen Sandy und ihre Löwinnen.
Sandy sah mich näherkommen, und die Tatsache, dass ich allein kam, ohne Freundin, schien sie glücklich zu machen. Ein Lächeln rutschte auf ihre Lippen. „Hi.“
„Hey, Sandy.“
„Keine Freundin heute?“ Es klang wie eine Mischung aus einem Vorwurf für die Lüge, die ich ihr aufgetischt hatte, und Begeisterung darüber, dass ich wohl immer noch Single war.
Ich wollte ihr keine falschen Hoffnungen machen. Und was noch wichtiger war, ich hatte keine Lust darauf, den Rest des Abends damit zu verbringen, sie abzuwimmeln. Also schnappte ich mir das erste im Umkreis bekannte Mädchen und zog sie an meine Seite.
„Tut mir leid, dass ich dich enttäuschen muss“, erklärte ich einer verblüfften Sandy. „Aber eigentlich bin ich nur rüber gekommen, um mein Mädchen zu holen.“ Ich warf einen kurzen Blick zur Seite, um herauszufinden, wer denn gerade mein Mädchen war, und fand mich Nasenspitze an Nasenspitze mit Chloe Summers.
Sie zog arrogant eine Augenbraue hoch, war aber cool genug, um diesen Moment nicht mit einer für mich peinlichen Szene zu beenden.
„Kommst du mit mir zurück an den Tisch, Baby?“, fragte ich mit einem angespannten Grinsen.
Chloe ließ mich eine panische Sekunde auf ihre Antwort warten, doch dann begann sie zu lächeln. „Natürlich, Schätzchen. Lass mich nur schnell noch den anderen sagen, dass wir den Platz wechseln. Und dass du gerade zugestimmt hast, eine Runde für alle springen zu lassen.“
Ich knirschte hinter verschlossenen Lippen mit den Zähnen, aber die Rettungsaktion war es wohl wert. Mit einem Arm um Chloes Taille, führte ich sie nach hinten an unseren Tisch. Dabei konnte ich Sandys enttäuschten Blick in meinem Nacken spüren.
Chloe spielte ihren Part ein wenig zu perfekt. Sie übertrieb es eindeutig, als sie ihren Arm um meine Hüfte schlang und ihre Hand in meine hintere Hosentasche schob.
„Finger weg, Summers“, knurrte ich warnend, behielt sie aber fest gegen mich gepresst.
„Wieso? Du hast einen echt sexy Arsch, Hunter.“ Lachend kniff sie mich in den Hintern, bevor sie schließlich ihre Hand aus meiner Tasche zog und auf neutrales Terrain oberhalb meiner Hüfte legte.
Die Jungs hatten bereits Stühle für die Mädchen aufgetrieben und ich war nur allzu erleichtert, als ich Chloe loslassen und mich auf meinen Stuhl fallen lassen konnte.
„Wow, bilde ich mir das nur ein oder habt ihr uns bereits erwartet?“, fragte Chloe, als sie sich neben mich setzte. „Was ist los?“
„Es gibt da etwas, das wir gerne mit euch besprechen würden“, antwortete ich.
„Tatsächlich? Und ich dachte, du wolltest nur ein Mädchen benutzen, um ein anderes loszuwerden. Wie dumm von mir.“
Ich verzog das Gesicht über ihren Sarkasmus und kratze mich im Genick. „Ah ja … danke für die Rettung.“ Ich bestellte Soda für uns alle und wir erzählten den Mädchen von unseren Plänen.
Sie waren alle sehr interessiert, besonders, da es in Grover Beach ja keine Mädchenmannschaft gab. Die einzige Möglichkeit für sie Fußball zu spielen war im Sportunterricht und auch nur dann, wenn ihre Lehrerin einen besonders guten Tag hatte.
„Ein paar Freundinnen von mir würden sicher auch gerne in einem Team spielen“, sagte Brinna. „Das heißt, falls es dir nichts ausmacht, dass sie in diesem Jahr noch nicht in der Abschlussklasse sind.“
„Das ist kein Problem“, erwiderte ich. „Tatsächlich sind aus unserem Team nur Sasha, Tyler und ich in der Abschlussklasse.“
„Cool. Ich kann meinen Freundinnen eine Nachricht schicken. Wenn wir zurückkommen, können wir uns alle treffen und die Einzelheiten besprechen. An wie viele Mädchen hast du denn gedacht?“
„Ich denke es macht Sinn, das Team in zwei Hälften zu teilen. Elf neue Spieler wären also gut. Wenn mehrere Mädchen dabei sein wollen, machen wir einfach einen Qualifikationstest.“
Wir diskutierten noch für einige Stunden an diesem Abend, bevor wir dann alle gemeinsam aufbrachen. Auf dem Weg nach draußen mussten wir wieder an Sandy und ihrem Rudel vorbei.
Alex warf einen Blick über seine Schulter und grinste uns zu. „Jeder schnappt sich ein Mädchen.“
Automatisch griff ich nach Chloes Arm, um sie wieder an meine Seite zu holen, doch sie grinste mich nur schelmisch an. „Nimm Brinna.“ Dann hakte sie sich bei Mitchells Arm ein und schenkte ihm ein anzügliches Lächeln. „Für den Nachhauseweg bin ich lieber Anthonys Freundin.“
Mitchell strich sich durchs Haar und verzog den Mund zu einem arroganten Grinsen. „Sorry, Hunter.“
Es musste ihm nicht leidtun. Brinna war genauso gut wie jede andere und ich ließ sie los, sobald wir durch die Tür ins Freie getreten waren. Chloe allerdings blieb für den Rest des Weges an Tonys Arm hängen. Später bekam ich ein Update von Frederickson über das Flirten, das offenbar den ganzen Abend lang zwischen Chloe und Tony abgegangen war, und das ich völlig übersehen hatte.
Summers und Mitchell? Warum nur musste ich bei diesem Gedanken anfangen zu grinsen?
Zurück im Lager warf ich noch einen Vierteldollar in den Getränkeautomat, nur um zu sehen, wie die beiden sich heute Nacht voneinander verabschieden würden. Wenn da was lief, musste ich es wissen. So wie ich Chloe kannte, würde sie sich nicht mit weniger als einem Gutenachtkuss zufriedengeben. Und falls Tony sie wirklich küsste, könnte das meine große Chance bei Liza sein. Wenn Mitchell vergeben war, musste sie früher oder später erkennen, dass es außer ihm auch noch andere Jungs auf dieser Welt gab. Jungs, die an ihr interessiert waren. Solche wie mich.
Ich nahm einen Schluck von meiner Cola und beobachtete aus dem Augenwinkel, was zwischen Chloe und Tony gerade passierte. Doch da geschah nichts. Absolut gar nichts. Weder küsste er sie, noch verabredeten sie sich für morgen oder sonst wann diese Woche. Alles, was sie sagten, war: „Gute Nacht.“ Und Chloe fügte noch hinzu: „Ich wünsch dir süße Träume, Anthony.“
Was zur Hölle war denn das?
Als Chloe gegangen war, wartete Tony darauf, dass ich zu ihm kam und gemeinsam stiegen wir die Treppe zu unserem Zimmer hoch. Ich sagte nichts zu dem Thema Chloe Summers. Und Tony ebenso wenig.
Kapitel 2
MAN KÖNNTE SAGEN, Chloe Summers war mein weibliches Gegenstück. Wir stürzten uns von einem ablenkenden Abenteuer in das nächste und genossen dabei die unkomplizierten Beziehungen, die meist nicht länger als zwei bis drei Wochen andauerten, frei von allen ernsthaften Bindungen. Mir war der Begriff Playboy oder Schürzenjäger, den die meisten Mädchen in der Schule mit meinem Namen in Verbindung brachten, wohl bekannt. Während ich diese bindungsfreien Freundschaften nur aus einem Grund verfolgte, und zwar wegen der Ablenkung, weil das Mädchen, das ich immer schon haben wollte, völlig ahnungslos in den Schulkorridoren vor meiner Nase herumlief, fragte ich mich, was Chloe davon abhielt, eine feste Bindung mit einem netten Jungen einzugehen.
Bis wir am letzten Tag unser Zimmer im Camp räumten, hatte Chloe sich durch das halbe Lager geschlafen und sich dadurch einen nicht so charmanten Namen eingehandelt. Wir waren nur wenige, die nicht auf ihr Flirten angesprungen waren, und Tony gehörte mit Sicherheit nicht dazu. Es wäre gelogen zu sagen, dass ich nicht darauf gehofft hätte, dass er und Chloe ein kleines Abenteuer eingehen würden, obwohl er mein Freund war und Besseres verdient hatte. Doch außer Liza war Chloe das erste Mädchen seit … na ja, seit Ewigkeiten, an dem er Interesse zeigte, und wann immer ich die beiden zusammen sah, stieg dieses albern flatternde Gefühl von Hoffnung in mir auf. Niemals würde ich mit dem Mädchen eines Freundes anbändeln. Doch wenn Tony mit einer anderen zusammen wäre, ginge sein Anspruch auf Liza Matthews damit schlagartig verloren.
Auf der Heimreise teilten wir vier uns wieder ein Zugabteil; Frederickson, Winter, Mitchell und ich. Vom vielen Spielen in der Sonne waren wir alle braungebrannt, und da wir wussten, wie sehr Mädchen auf so etwas abfahren, prahlten wir wie scharfe Hähne, wer uns zuhause nicht alles zu Füßen liegen würde. Doch die Wahrheit war, nur Frederickson war wirklich euphorisch, denn ich … tja, ich hatte vor langer Zeit damit aufgehört, Mädchen an jeder Ecke anzubaggern. Tony schickte eine SMS nach der anderen an Liza und auch Alex Winter hatte einige Tage zuvor durchsickern lassen, warum er sich in den vergangenen Wochen so ungewöhnlich ruhig und unauffällig in Gegenwart des anderen Geschlechts verhalten hatte. Der Bursche war bis über beide Ohren verliebt. Sie musste wohl ein ganz besonderes Mädchen sein, wenn es ihr gelang, Winter den Kopf so derartig zu verdrehen, denn er hatte vor, sie endlich zu einem Date zu überreden, obwohl sie ihm vor den Sommerferien bereits zweimal einen Korb gegeben hatte.
Ihr Name war Simone und ich konnte mich vage daran erinnern, sie schon mal auf einer der vielen Partys bei mir zuhause gesehen zu haben. Partys, auf denen ich jedes Mal hoffte, Liza durch die Tür kommen zu sehen. Doch so wie es aussah, hatte Tony meine Einladungen bisher nie an sie weiter gegeben. Er meinte damals nur, Liza wäre ein zu nettes Mädchen, als dass er sie in ein Höllenloch wie mein Haus an einem Samstagabend mitnehmen würde.
Ich war sicher, er hatte nur Angst, dass sich jemand anderes auf diesen Partys an Liza heranmachen würde … und es ihr letzten Endes auch noch gefallen könnte.
Tony schrieb gerade die nächste SMS. Vermutlich erzählte er Liza, dass wir in zwei Stunden zuhause ankommen würden und bestimmt saß sie nagelkauend auf ihrem Bett, weil sie es kaum noch erwarten konnte, ihn endlich wieder zu sehen.
„Habt ihr beide gerade was übers Telefon am Laufen oder wie?“, zog ich Mitchell auf und stieß gegen seinen Fuß.
Tony sah hoch und hatte dabei diesen totalen Unschuldsblick drauf. „Was?“
In der letzten halben Stunde hast du Liza über zwanzig Nachrichten geschickt“, warf Alex ein und grinste spöttisch. „Was gibt’s denn so Dringendes, dass es nicht warten kann, bis wir zuhause sind?“
„Gar nichts.“ Tony räusperte sich und steckte das Handy in seine Hosentasche. „Ich hab ihr nur erzählt, was in den letzten paar Tagen so passiert ist. Da Hunter sich heute noch mit den anderen wegen dieser Sache mit dem gemischten Team treffen will, wird Liza eine fürchterliche Laune haben, wenn sie hört, dass ich gleich wieder weg muss.“
„Mach mal ’ne Pause, Mann, und nimm sie später doch einfach mit“, schlug ich ihm vor. „Ich verstehe nicht, warum du dich plötzlich so kindisch verhältst und deine ganzen SMS heute Nachmittag verschwendest.“ Doch in Wahrheit war ich einfach nur eifersüchtig. Ich wünschte, ich könnte auf der Heimfahrt mit Liza hin und her schreiben so wie Tony. Dann wäre sie meinetwegen so fürchterlich aufgeregt, und wenn ich nach Hause kommen würde, könnte ich sie zur Begrüßung fest an mich drücken, wie es Tony später ohne Frage tun würde.
„Liza wird nicht mitkommen. Sie hasst Fußball. Und wenn ich deinen Namen erwähne, zieht sie üblicherweise eine fürchterliche Grimasse.“ Tony grinste dämlich in meine Richtung. „Nichts für ungut, Hunter.“
„Schon klar“, murmelte ich und sah zum Fenster hinaus.
Liza war vermutlich das einzige Mädchen im Staate Kalifornien, das meinem Charme nicht erlag. Verdammte Scheiße. Andererseits hatte sie meine charmante Seite bisher ja auch noch nicht wirklich kennen gelernt. Da die Freundinnen von Freunden wie gesagt tabu waren, hielt ich mich in ihrer Nähe immer zurück. Doch das konnte nun alles anders werden, seitdem Chloe ins Spiel gekommen war. Ein kribbelndes Gefühl von Freude und Erwartung machte sich in meiner Brust breit. Es fühlte sich mädchenhaft und dämlich an und ich kämpfte darum, dieses Kribbeln unter Kontrolle zu bekommen.
Ich warf Tony einen Blick aus dem Augenwinkel zu. „Was ist mit Summers?“
„Was soll mit ihr sein?“
„Ihr beide wart im Lager oft zusammen.“
Seine Lippen verschmälerten sich zu einem dünnen Strich. „Ja und?“
Herr Gott, er hatte in der ganzen Zeit nicht einmal über Chloe gesprochen. Im Gegenteil, sobald jemand ihren Namen erwähnt hatte, wechselte er geschickt das Thema. „Und … läuft da was zwischen euch beiden?“
„Warum willst du das wissen?“
„Warum weichst du meiner Frage aus?“
Alex stieß mit seiner Schulter gegen Tonys. „Weil der Bursche bis über beide Ohren verknallt ist … und offenbar nicht in Matthews.“
Tony stieß ihn zurück. „Lass den Quatsch. Ich bin in überhaupt niemanden verknallt.“
Alex grinste ihm ins Gesicht. „Warum bist du dann plötzlich so überempfindlich?“
„Und so zickig“, fügte ich hinzu.
„Das bin ich nicht. Aber ihr seid Schwachköpfe.“
Okay, da konnte wohl keiner von uns widersprechen, doch Mitchells Liebesleben interessierte mich plötzlich mehr denn je. Und dann traf es mich plötzlich wie ein Blitz. „Es ist wegen ihr!“
Tony runzelte die Stirn. „Was ist wegen wem?“
„Chloe ist der Grund, nicht ich. Ihretwegen willst du Matthews nicht zu unserem Treffen heute Nachmittag mitnehmen. Du willst nicht, dass sich die beiden sehen.“ Oh Mann, ich war richtig stolz auf meine detektivischen Fähigkeiten. Ein richtiges Genie.
Plötzlich geschah etwas völlig Unerwartetes, dass nicht nur mich, sondern auch Frederickson und Winter total überraschte. Anthony Mitchell lief rot an wie ein Mädchen.
„Ach du heilige Scheiße!“ Ich schlug mir gegen die Stirn. „Also läuft da tatsächlich was zwischen dir und Summers. Und du hast Schiss davor, es Liza zu erzählen.“
Tony fuhr sich nervös durchs Haar und jammerte: „Sie wird es nicht verstehen.“ Und dass gerade in diesem Augenblick eine neue SMS auf seinem Handy einging, machte die Sache auch nicht einfacher.
Mir war klar, ich war ein kompletter Arsch für das, was ich vorhatte, doch dieses Mal konnte ich einfach nicht widerstehen. Sobald er das Handy aus seiner Hosentasche gezogen hatte, riss ich es ihm aus der Hand und öffnete die Nachricht. Tony sprang auf mich, doch ich hielt das Telefon aus seiner Reichweite und es gelang mir, mich freizukämpfen.
„Wir können machen, was du willst“, las ich laut vor und verstellte dabei meine Stimme. „Möchtest du schwimmen gehen? Das haben wir den ganzen Sommer lang nicht getan. Aber du warst ja auch den ganzen Sommer lang weg, du Schuft.“
„Du Schuft!“, verspotteten die beiden anderen Tony mit der mädchenhaftesten Stimme, die sie zu Stande brachten. Wir lachten uns halb kaputt.
„Gib das Handy zurück. Hunter, du bist echt so was von unreif!“
„Unreif!“, äfften wir ihn alle gemeinsam nach und steckten dabei unsere Köpfe zusammen, wie die drei Stooges. Wir hielten unsere Bäuche, die vom vielen Lachen bereits schmerzten.
Zu schwach, um Tonys Attacken weiter standzuhalten, überließ ich ihm schließlich sein Telefon. Was er Liza dann schrieb, wusste nur Gott allein. Aber wahrscheinlich, dass er mit dem Rest des Grover Beach Kindergartens in einem Zugabteil gefangen war.
Als der Zug in unsere Station einfuhr, schnappten wir unsere Taschen und drängten uns in die warme Freitagnachmittagsonne hinaus. Ich streckte meinen Rücken und Nacken, die nach der langen Fahrt ein wenig steif geworden waren. Als Nächstes ließ ich meinen Blick über den Platz wandern und hoffte, eine süße Brünette mit Granny-Smith-Augen zu entdecken.
Liza war nicht gekommen. Nicht einmal um ihren besten Freund zu empfangen. Es war für mich schon eine enorme Herausforderung gewesen, sie den halben Sommer nicht zu sehen und dabei nicht komplett wahnsinnig zu werden. Aber sie jetzt nicht zu sehen, grenzte an Folter.
In ein paar Wochen fing ja das neue Schuljahr wieder an und ich würde mich einfach zusammenreißen und die Zeit bis dahin wie ein Mann ertragen müssen.
Ich verabschiedete mich von meinen Freunden und machte mich auf die Suche nach meinem Dad, der mich heute abholen sollte. Doch nur einen Moment später lief mir Justin über den Weg. Er hatte seinen kleinen, ramponierten Bruder im Schlepptau. Na ja, wenigstens war nicht alles an Nick Andrews gebrochen, sondern nur sein rechtes Handgelenk, was mir wiederum kein Geld aus der Wette eingebracht hatte, aber dafür ein schlechtes Gewissen. Der Unfall war nur drei Tage zuvor passiert, und wir hatten uns alle schon gefragt, ob er es dieses Mal ganz ohne Schrammen nach Hause schaffen würde. Aber Nick enttäuschte uns nie. Pech für den Burschen.
Justin kam zu mir rüber und hatte diesen grimmigen Gesichtsausdruck. Bevor er noch etwas sagen konnte, warf ich abwehrend ein: „Hey, Mann, ich war nicht einmal in seiner Nähe, als der Unfall passierte. Er ist in der Dusche ausgerutscht. Wie hätte ich das bitte verhindern sollen?“
Er dachte einen Moment lang darüber nach. Dann grinste er und wir zogen unseren üblichen Ghetto-Handschlag durch.
„Was geht ab?“, fragte Justin, als er und Nick mich zum Parkplatz begleiteten. Er lehnte sich etwas näher, damit nur ich hören konnte, was er als Nächstes sagte. „Hast du ein nettes Mädel kennengelernt und dir Matthews endlich aus dem Kopf geschlagen?“
Ich grinste. „Hast du dein heiliges BMX mit einem Laster überfahren?“
„Nah“, riefen wir beide gleichzeitig und lachten laut. Dann gab ich seinem kleinen Bruder einen Klaps auf die Schulter – ganz sachte, um nicht noch mehr Schaden anzurichten – und sagte: „Ich seh dich in einer Stunde bei Charlie.“
Mein Dad wartete bei unserem Ford Chrysler. Ich umarmte ihn flüchtig, verstaute mein Gepäck im Kofferraum und stieg dann auf der Beifahrerseite ein. Obwohl das diesjährige Sommercamp cooler war, als alle zuvor, war es auch schön, endlich wieder heimzukommen.
Meine Mutter musste schon wie eine Füchsin hinter der Tür auf mich gewartet haben, denn kaum, dass ich durch die Tür getreten war, packte sie mich und fesselte mich mit einer fetten Umarmung, die mir die Luft abschnürte.
„Mom“, krächzte ich, hielt sie aber trotzdem fest und lachte dabei. „Mom, lass mich los. Ich bekomme keine Luft mehr.“
„Tja, Junior, sie hat dich eben ganz schön vermisst“, meinte mein Vater, als er sich zwischen dem Türrahmen, mir und Mom hindurchzwängte.
„Fünf Wochen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr!“, sagte sie lächelnd und strich mir über die Wange. Dann drückte sie mir einen dicken Kuss auf die andere. „Dieses Haus ist einfach viel zu leer ohne euch Kinder.“
Seit meine Schwester mit zwanzig abgehauen war – okay, sie war nicht wirklich abgehauen, sondern nur nach San Luis gezogen – wurde ich zur einzigen Zielscheibe der Liebe und Fürsorge meiner Mom. Während Rachel das College geschmissen und den Besitzer eines Clubs geheiratet hatte, war ich das brave Kind, das immer noch zuhause lebte und vorhatte, irgendwann mal in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Er hatte eine Tierarztpraxis im Westflügel unserer Villa und manchmal durfte ich mich sogar mit ihm um die pelzigen Patienten kümmern. Ich fand die Arbeit mit Tieren wirklich cool.
Nachdem mich meine Mutter endlich aus dem Todesgriff entlassen hatte, warf ich die Wäsche von fünf Wochen in die Waschkammer und eilte nach oben unter die Dusche, um den Gestank der langen Zugfahrt loszuwerden. Mit einem Handtuch locker um die Hüften geschlungen, rasierte ich mich, trug etwas Aftershave auf und rubbelte mein dunkles Haar trocken.
Für das Treffen in Charlies Café musste ich mich nicht wirklich in Schale werfen. Weite Jeans und ein weißes Muskelshirt reichten völlig. In der Ecke neben meinem Bett lehnte mein mit Graffiti gemustertes Skateboard. Ich betrachtete es, während ich meine Sneakers zuschnürte, und beschloss, mein Auto für heute noch in der Garage stehen zu lassen und stattdessen mit dem Board in die Stadt zu fahren.
Mom machte ein enttäuschtes Gesicht, als ich mit dem Skateboard unterm Arm die weite, gewundene Treppe in die Empfangshalle hinunter kam. „Willst du etwa schon wieder weg? Du bist doch gerade erst angekommen und hattest noch nicht einmal Zeit, mir vom Trainingslager zu erzählen.“
„Ja, tut mir leid, aber ich treffe die Jungs unten bei Charlie in …“ Ich blickte kurz auf meine Armbanduhr. „Fünfzehn Minuten.“
„Wirst du wenigstens zum Abendessen wieder zurück sein? Ich wollte eine Meeresfrüchte-Platte zubereiten.“
Meine Mundwinkel schoben sich ganz von allein nach oben. Sie wusste, wie sehr ich Fisch und Schrimps in allen möglichen Variationen liebte, und machte dieses Abendessen immer nur zu besonderen Anlässen. Wie zum Beispiel heute, wo ihr geliebter Sohn nach fünf langen Wochen endlich aus dem Ferienlager zurückgekehrt war.
Darauf gab es nur eine mögliche Antwort. „Ich liebe dich auch, Mom.“ Ich drückte ihr einen Kuss auch die Wange. „Ich bleib nicht lange weg. Nur ein bis zwei Stunden, versprochen. Und danach erzähle ich dir auch alles übers Trainingslager.“
Der Kuss war mein Ticket nach draußen. Mom konnte mir nie etwas abschlagen, wenn ich der süße, kleine Junge war, der sich nicht schämte, seiner Mama zu sagen, dass er sie lieb hatte.
Vor der Tür ließ ich mein Skateboard auf dem Asphalt ab und fuhr los zu Charlie. Ich war noch nicht mal richtig bei dem Café angekommen, da konnte ich schon einige bekannte Gesichter um eine lange Tischreihe im Garten sitzen sehen. An diesem Nachmittag hatten sich viele Gäste hier eingefunden und schlürften Kaffee im Schatten des Baumes, der in der Mitte des Gastgartens stand, oder löffelten einen fruchtigen Eisbecher.
Ich ließ mein Skateboard beim Eingang stehen, wo schon einige andere Boards und ein paar Fahrräder lehnten, und setzte mich zu meinen Freunden an ein Ende des Tisches. Brinna hatte recht gehabt. Es waren verdammt viele Mädchen daran interessiert, in unser Team aufgenommen zu werden. Damit hatte ich nicht gerechnet.
Als Charlie, der Inhaber des gleichnamigen Cafés, an unseren Tisch kam, um meine Bestellung aufzunehmen, bat ich ihn auch gleich um einen Stift und ein Stück Papier. Er brachte mir beides und eine Zitronenlimonade nur wenige Minuten später.
Tony war noch nicht da, was meine Hoffnung, dass er Liza letzten Endes doch noch dazu überreden konnte, mitzukommen, bestärkte. Ich nahm einen Schluck von meiner Limo und blickte zu Chloe, die in einem weißen Kleid hier erschienen war, das aussah, als hätte es ihr jemand auf die Haut gemalt. Wenn ich es mir recht überlegte, war es wohl doch keine so gute Idee, die beiden Mädchen gerade heute einander vorzustellen.
Ich setzte mein Glas ab und schlug mit einem kleinen Löffel dagegen um jedermanns Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. „Okay, es ist echt cool, dass so viele von euch heute hier sind. Allerdings können wir nicht alle aufnehmen und müssen einen Weg finden, um elf Mädchen auszuwählen. Normalerweise machen wir Jungs in so einem Fall immer einen Qualifikationstest. Wir könnten morgen etwas in der Art auf dem Fußballplatz veranstalten. Hat jemand von euch morgen keine Zeit?“
Ich sah ein paar schüttelnde Köpfe und hörte das Gemurmel, dass morgen in Ordnung ging.
„Großartig. Ich schreibe euch alle auf eine Liste, und wenn euch noch jemand einfällt, der vielleicht auch mit den Bay Sharks spielen möchte, dann sagt ihr bitte Bescheid, dass sie morgen um zehn auf dem Rasen sein soll.“
Die meisten der anwesenden Mädchen kannte ich, denn sie waren entweder in meiner Klasse oder ich war früher schon mal mit einer von ihnen ausgegangen. Als ich alle Namen aufgeschrieben hatte und hochblickte, pochte mein Herz unangenehm hart gegen meine Rippen.
Oh Junge, wie sehr hatte ich ihren Anblick vermisst. Wie immer wanderte meine Aufmerksamkeit zuerst zu ihren strahlenden Augen. Lizas seidiges, langes Haar war zu einem Pferdeschwanz hochgebunden, nur ein paar vereinzelte Strähnen fielen heraus und umspielten ihr herzförmiges Gesicht.
Das rosa T-Shirt, das sie heute trug, gehörte zu meinen Lieblingsoutfits an ihr. Zwei neongrüne Bänder waren in ihrem Nacken gebunden – vermutlich ein Bikini. Schließlich wollte sie ja heute mit Mitchell runter ans Meer. Als mein Blick nach unten, zu ihren bezaubernden Beinen wanderte, konnte ich plötzlich an nichts anderes mehr denken, als selbst mit ihr in den Wellen zu toben.
Ich zog mir die Baseballmütze etwas tiefer ins Gesicht und zwang mich dazu, den Blick von meinem ganz persönlichen Sonnenschein loszureißen. Als ich schluckte, bemerkte ich, dass mein Hals knochentrocken war, und ich räusperte mich … mehrmals.
Zu meiner völligen Überraschung stand Chloe plötzlich vom Tisch auf und ging auf Mitchell zu. „Du bist spät dran, Anthony. Ich dachte schon, du kommst überhaupt nicht mehr.“
Es war geradezu lächerlich, dass Chloe ihn als Einzige immer Anthony nannte, aber ihm schien es zu gefallen, also dachte ich, was soll’s. Als sie jedoch ihre Hände auf seine Brust legte und ihn auf die linke Wange küsste, war plötzlich niemandem mehr zu lachen zumute. Mir stockte der Atem. Alex und Frederickson sahen genau so schockiert drein, wie Liza und ich es offenbar waren. Die Stimmung ging noch weiter den Bach runter, als Tony seine Hände auf Chloes Hüften legte und sie auch noch seine andere Wange küssen ließ.
In dieser Minute wünschte ich mir, ich hätte den Mut gehabt, aufzustehen und Liza in eine schützende Umarmung zu schließen – nicht zu meinem eigenen Vergnügen, sondern weil sie gerade aussah, als wäre sie von einem Bus überrollt worden und ein wenig Trost gebrauchen könnte.
„Gemischte Teams, hm?“, murmelte Liza, als sie sich neben Mitchell auf einen Stuhl fallen ließ, was auch gleichzeitig bedeutete, dass sie gegenüber von Chloe saß.
Ich hatte das Bedürfnis, sie etwas aufzumuntern und meinte neckend: „Die Qualifikationen finden morgen statt, Matthews. Ich kann dich auf die Liste setzen, wenn du interessiert bist!“
Liza wirkte nicht gerade glücklich wegen meines Scherzes, was ja eigentlich kein wirklicher Scherz war, sondern vielmehr der Versuch, sie in mein Team zu bekommen, wo ich zweimal die Woche mit ihr spielen könnte. Körperkontakt beim Fußball war ja nichts Ungewöhnliches und ich hatte schon eine gute Vorstellung davon, wie ich dies zu meinem persönlichen Vorteil ausnutzen könnte.
Wenig begeistert, dafür aber umso überraschter sah sie mich an, so als hätte ich heute zum ersten Mal ihre Sprache gesprochen. Das konnte allerdings auch daher kommen, dass dies wohl der längste Satz war, den ich bisher in einem Atemzug zu ihr gesagt hatte. Ich hatte es immer als einfacher empfunden, ihr zu widerstehen, wenn ich nicht mit ihr sprach.
„Liz und Fußball?“ Tony lachte neben ihr. „Da könntest du genauso gut versuchen, einen Elefanten dazu zu überreden, Tango zu tanzen. Nicht wahr, Liz?“
Ach du Scheiße. Konnte mein Kumpel wirklich so taktlos sein? Ich hatte Tony noch nie in einem derart verletzenden Ton mit Liza reden gehört. Als sie sich zu ihm wandte, war da eine ganze Menge Leid in ihrem Blick, doch außer mir schien es niemand zu bemerken.
Und dann geschah das Undenkbare. Chloe öffnete den Mund und ich wusste sofort, es würde nichts Nettes rauskommen.
„Der Elefant trifft es genau.“
Und da war es auch schon. Kurz, beißend und einfach nur Chloe-like. Sie musste sich ziemlich bedroht fühlen von Liza, ansonsten hätte sie sich wohl nicht zu solchen Gemeinheiten verleiten lassen, um damit ihr Territorium um Tony abzustecken. Irgendwo, ganz tief drinnen, war ich sogar beeindruckt. Es hatte tatsächlich den Anschein, als würde Chloe ernsthaft etwas für diesen Burschen empfinden.
Und dieser Bursche war gerade mit Pauken und Trompeten durch den Freundschaftstest gerasselt. Er verteidigte Liza mit keinem Wort gegen Chloes Beleidigung, und das – ob er nun mit Chloe zusammen war oder nicht – war unter jedem Niveau. Ich war gespannt, wie Liza darauf reagieren würde.
„Ich habe in der neunten Klasse mal versucht, mein Essen wieder auszukotzen, aber das ist wohl eher dein Ding als meins“, war ihre Antwort für Summers. Und eine verdammt gute noch dazu. Dieses Mädchen war gar nicht so schüchtern und still, wie sie jeden glauben ließ.
Ich musste lachen, doch offenbar war ich der Einzige, der es wagte. Der Rest war verblüffend still und versuchte sich aus der Schusslinie zu ziehen.
Chloe runzelte die Stirn. „Hast du mich gerade beleidigt?“
Ja, Summers, das hat sie! Ich konnte gut verstehen, dass Chloe leicht schockiert war. Genauso wenig wie ich war sie es gewohnt, von jemandem blöd angemacht zu werden. Ich war mir sicher, dass sie das gerade eben tiefer getroffen hatte, als sie jemals zugeben würde.
Liza schien mehr als erleichtert zu sein, als Tony kurze Zeit später eine SMS erhielt und sie fragte, ob sie noch hier bleiben oder lieber mit zu ihm nach Hause kommen wollte. Noch nie zuvor hatte ich gesehen, dass jemand ein fast volles Glas Cola so schnell runter schüttete wie Liza gerade, während sie von ihrem Stuhl aufstand.
„Ich bin fertig“, verkündete sie und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
Tony schüttelte erst den Kopf, dann blickte er unbehaglich in meine Richtung und zuckte mit den Schultern.
Als die beiden um den Tisch kamen, rief Chloe hinter Mitchell her: „Wir sehen uns morgen, Anthony.“
Den Blick krampfhaft auf den Boden gerichtet, knirschte Liza mit den Zähnen. In diesem Moment wollte ich lieber nicht in ihrer Haut stecken. Obwohl, wenn man es genau nahm, war es in den vergangenen Jahren schon schwer genug gewesen, in meiner eigenen Haut zu stecken, wenn es um sie ging. Vielleicht war das Blatt ja gerade dabei sich zu wenden, auch wenn es mich traurig machte, Liza so zerknirscht zu sehen.
Als sie an mir vorbei stapfte, wurde mir klar, dass dies womöglich meine einzige Chance war. Wenn ich nicht zumindest mit etwas härteren Mitteln daran arbeiten würde, sie zu den Qualifikationen zu locken, würde ich mich heute Abend mit Sicherheit dafür hassen. Vielleicht konnte ich ihr zeigen, dass Fußball nicht so übel war, wie sie dachte, und wenn sie erst in meinem Team war … tja, ziemlich genaue Vorstellungen davon, was ich dann mit ihr machen würde, spielten sich gerade in meinem Kopf ab.
Ich verlor beinahe die Kontrolle über mich und hätte fast nach ihrer Hand gegriffen, um sie aufzuhalten. Sie durfte jetzt nicht einfach abhauen. Aber ich konnte mich gerade noch rechtzeitig beherrschen und ließ meine Finger über meinem Bauch verschränkt, anstatt nach ihr zu greifen, als ich herausfordernd fragte: „Wie sieht’s aus, Matthews? Bist du bei den Qualifikationen dabei, oder nicht?“
Perplex blieb sie vor mir stehen. „Ich …“
„Zieh sie nicht auf. Liza ist einfach nicht für Fußball gemacht“, unterbrach sie Tony. Mit seinen Händen auf ihren Schultern versuchte er sie vorwärts zu schieben. Weg von mir.
Oh, wie ich ihm dafür in den Arsch treten wollte.
Ich hatte keine Ahnung, was Liza wirklich umstimmte. Ob es nun der Wunsch war, mehr Zeit mit ihrem geliebten Tony zu verbringen, oder Chloes zickiges Gekicher hinter ihrem Rücken. Jedenfalls drehte sich Liza in diesem Moment zu Tony um und sagte: „Weißt du was? Ich denke, ich wage einen Versuch.“
Ich musste mit aller Gewalt gegen meine aufsteigende Freude und das dämliche Grinsen ankämpfen.
Tony starrte sie nur verblüfft an. „Du verarschst mich.“
Oh nein, hoffentlich nicht. So konnte sie nicht mit meinen Gefühlen spielen. Doch der Ausdruck in ihrem Gesicht rief: Was willst du darauf wetten? Nicht einmal Tony konnte übersehen, dass sie im Stande war, ihm den Kopf abzureißen, falls er jetzt auch nur noch ein einziges, dämliches Wort sagte.
„Cool. Damit stehst du auf der Liste.“ Nun konnte ich mein Lächeln nicht mehr zurückhalten. Auch vor allem deshalb nicht, weil ich gerade freie Sicht auf ihren fantastischen Körper hatte, und diese zum ersten Mal richtig ausnutzen konnte, ohne mich wie ein Spanner zu fühlen. Der schmale Streifen Haut, der zwischen dem Saum ihres T-Shirts und dem Bund ihrer Shorts hervorblitzte, war wie eine illegale Verführung. „Treffpunkt ist morgen um zehn auf dem Fußballfeld“, murmelte ich.
„Ich werde da sein.“
Darin lag das Siegel eines Versprechens. Und ich würde sie darauf festnageln.
Meine Aufmerksamkeit wanderte nach unten zu ihren langen, bildhübschen Beinen. Ich wollte nichts lieber, als mit den Fingerspitzen langsam an der Innenseite ihrer Schenkel entlang streichen – Herr im Himmel, töte mich auf der Stelle. Ich nahm jeden Quadratmillimeter ihrer entblößten Haut war, als ich meinen Blick weiter nach unten schweifen ließ, über ihre Schenkel, den blauen Fleck über ihrem rechten Knie, der die Form von Alaska hatte, bis zu ihren Füßen, die in hellblauen Flip-Flops steckten.
Mein Mund trocknete aus und ich wusste, es war an der Zeit, den Blick wieder nach oben zu richten, in ihr hübsches Gesicht. Wir sahen uns für ein paar Sekunden lang in die Augen, was mir ein komisches Gefühl und eine Gänsehaut im Nacken bescherte. So wie sie mich ansah, hatte sie bemerkt, dass ich sie gerade geistig vernascht hatte – und ich könnte schwören, es hatte ihr gefallen.
„Zieh dir ordentliche Schuhe an“, sagte ich und zwinkerte ihr dabei zu, etwas das ich bei ihr bisher noch niemals getan hatte.
Ihre Lippen öffneten sich ein wenig, gerade genug, um mir den Verstand zu rauben. Ich wollte sie an mich drücken und küssen, bis sie nicht mehr klar denken konnte. Aber ich bekam nie zu hören, was sie in diesem Moment zu mir sagen wollte, denn Mitchell schob sie vorwärts und aus dem Garten des Cafés.
Ich atmete tief durch und drehte mich wieder zum Rest der Gruppe. Alex starrte mich an und es nervte mich innerhalb einer Millisekunde.
„Was?“, formte ich lautlos mit den Lippen.
Alex grinste hämisch und schüttelte den Kopf. Die gleiche Reaktion bekam ich von Frederickson neben ihm. Ich zeigte ihnen den Stinkefinger, allerdings verdeckte ich die Geste damit, mir die Baseballkappe tiefer in die Stirn zu ziehen, sodass die anderen es nicht mitbekamen. Ein Grinsen schlich nun auch auf meine Lippen und ich konnte nichts dagegen tun.
Kapitel 3
DAS ABENDESSEN MIT Mom war ziemlich anstrengend. Sie fragte mir Löcher in den Bauch und ich konnte die Meeresfrüchte-Platte zwischen all dem Gerede nur schwer genießen. Wenn ich wieder einmal so lange weg sein sollte, würde ich es zu meiner obersten Priorität machen, meine Mutter öfter mal anzurufen.
Nach dem Essen erhielt ich eine Nachricht von Mitchell, der mich in zwanzig Minuten vor dem Haus treffen wollte. Ich hatte sowieso nichts vor an diesem Abend, da kam Tony gerade recht. Als ich ihm nur wenig später die Tür öffnete und ihn hereinbat, machte er aber nur ein langes Gesicht. „Was dagegen, wenn wir lieber ein paar Schritte laufen?“
Er wollte einen Spaziergang machen? Der Junge, der mindestens dreimal die Woche in meinem Zimmer abhing und Videospiele mit mir spielte, wobei er Tonnen von Käsekräckern inhalierte, die meine Mutter extra für ihn in Monsterpackungen einkaufte, genau dieser Junge schlug gerade meine Einladung aus und nickte in Richtung Spielplatz am Ende der Straße. Etwas war faul.
Ich nickte und schob die Hände in die Hosentaschen, als ich mit ihm losging. „Was ist los, Mitchell?“
Es dauerte einen Moment, bis er mit der Sprache herausrückte. „Ich bin total im Arsch.“
Ich zog eine Augenbraue hoch als Tony kurz zu mir rüber blickte, doch dann fixierte er wieder den Gehsteig und seufzte. „Ich brauche deine Hilfe mit Liza.“
Au Backe. Sprich mit jemand anderem über sie, aber nicht mit mir! Einem Freund Ratschläge zu geben, wie er bei dem Mädchen landen konnte, das ich wollte, stand wohl etwas weiter unten auf meiner Wunschliste. Und doch riss ich mich zusammen, biss mir auf die Unterlippe und fragte: „Wie kann ich dir helfen?“
„Ich möchte sie im Team haben.“
Ich blieb beinahe stehen vor Überraschung. Okay, in dieser Sache waren wir uns schon mal einig. „Sie sagte, sie nimmt an den Qualifikationen teil. Das ist doch schon mal ein Anfang.“
„Ja, sie wird dabei sein. Aber du hast noch nicht miterlebt, wie sie mit einem Fußball umgeht.“
Ah, daher wehte also der Wind. Tony hatte Angst, sie würde es nicht in die Mannschaft schaffen. Also darum musste er sich nun wirklich keine Sorgen machen. Ich hatte verdammt noch mal schon viel zu lange auf diese Chance gewartet, als dass ich mein Glück nun von ihrem – anscheinend nicht vorhandenen – Talent abhängig machen würde. Was auch immer morgen passieren würde, ich würde dafür sorgen, dass Liza am Ende des Tages ein vollwertiges Mitglied der Grover Beach Bay Sharks war.
Doch irgendetwas an der Sache machte mich stutzig. „Warum willst du sie denn unbedingt im Team haben?“
Wir kamen zum Spielplatz, an dem Rachel und ich jeden Tag gespielt hatten, als wir noch klein waren. Ich setzte mich auf die mittlerweile viel zu kleine Schaukel und Mitchell fand einen Platz auf der blechernen Rutsche. Er stützte seine Ellenbogen auf die Knie und sah mich mit geneigtem Kopf eindringlich an. „Du hattest recht mit dem, was du heute Nachmittag gesagt hast. Ich treffe mich mit Chloe Summers.“
Verzeih mir, wenn ich grad mal eben aufstehe und einen dämlichen Siegestanz vollführe. Ich räusperte mich, versuchte meine Miene einigermaßen gleichgültig wirken zu lassen und sagte: „Das ist doch cool.“
„Das Problem ist, ich hab keine Ahnung, wie ich das Liz erklären soll. Heute Nachmittag war sie schon zickig, wegen ein paar Dingen, die ich getan habe … oder anscheinend nicht getan habe. Ich will ihr nicht wehtun. Aber ich weiß, für sie bricht eine Welt zusammen, wenn ich ihr erzähle, dass ich mich mit einer anderen treffe.“
„Jap, du wirst das Mädel zerbrechen. Soviel ist sicher.“ Aber mach dir keinen Kopf. Ich werde da sein und sie trösten. „Jetzt erklär mir aber mal, wie es dir helfen soll, wenn Liza in unserem Team spielt.“
„Liza hasst Chloe. Und das nach nur zwanzig Minuten mit ihr. Ich möchte, dass sich die beiden etwas besser kennen lernen. Vielleicht werden sie ja sogar Freundinnen.“ Tony lehnte sich auf der Rutschfläche zurück, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und betrachtete die Sterne. „Ich will Liza nicht verlieren, nur weil ich jetzt eine Freundin habe.“
Mir fiel in dem Moment nichts Besseres ein als: „Beschissene Situation.“ Und zwar nicht nur für ihn, sondern für alle. Merkte denn niemand, dass ich der Falsche war, um jemandem Beziehungstipps mit Liza zu geben? Es wäre so einfach gewesen, Mitchell etwas einzureden, das am Ende einen Keil zwischen die beiden trieb. Aber ich mochte ihn und wieder einmal stellte ich meine eigenen Wünsche hinten an und sagte ihm, was er von einem guten Freund hören musste.
„Bist du sicher, dass du das Richtige tust? Überleg mal. Liza Matthews steht total auf dich. So etwas würde sich jeder von uns wünschen. Sie ist nett, sieht gut aus, ist cool drauf und sie versteht Spaß. Zumindest ist das alles, was ich von dir seit Jahren über dieses Mädchen zu hören bekomme.“ Ich stieß mich mit den Beinen ab und schwang ein paar Mal vor und zurück. Dabei wünschte ich mir aus tiefster Seele, ich müsste nicht sagen, was ich gleich sagen würde. „Was zum Teufel hält dich davon ab, mit ihr zusammen zu sein?“
Tony richtete sich wieder auf und saß im Schneidersitz. „Ich weiß es nicht.“ Er klang total ernst. „Du weißt, wie gern ich sie hab. Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, das mit ihr zu tun, was ich mit Chloe tun möchte. Verstehst du?“
Ganz und gar nicht.
„Es ist ja nicht so, dass ich Liza nicht hübsch finde. Bestimmt nicht. Sie ist wahrscheinlich das hübscheste Mädchen in der Stadt.“
Komm auf den Punkt. Ich war total verwirrt. Für mich klang das alles so, als empfände er für sie genau das Gleiche wie ich.
„Vielleicht kenne ich sie einfach schon zu lange“, fuhr Tony fort. „Sie war immer meine beste Freundin und ich mache nichts lieber, als einfach nur mit ihr rumzuhängen. Aber mit Chloe …“
Verdammt. Da war dieses hingebungsvolle Seufzen, das schon viele Männer vor ihm in Schwierigkeiten gebracht hatte.
„Chloe ist ganz anders als Liz. Sie ist wild und sagt mir genau, was sie will. Es macht ihr auch nichts aus, dass sie ein paar Monate älter ist als ich und eine Klasse höher.“
Die Ketten der Schaukel rasselten, als ich aufstand und zum Eichenbaum ging, der in der Mitte des Spielplatzes stand. Ich lehnte mich dagegen und verschränkte die Arme. „Hast du schon mal daran gedacht, dass sie das Gleiche auch zu all den anderen Jungs gesagt hat, mit denen sie zusammen war? Und mit zusammen meine ich maximal zwei Wochen, wenn wir von einer langen Zeit ausgehen.“
„Sie sagte, dass es mit mir anders ist als bei all den anderen. Dass sie so etwas bisher noch bei keinem empfunden hatte.“
Ha! Darüber konnte ich nur lachen. Doch ich tat es nicht, denn es war mittlerweile stockdunkel und auf dem stillen Spielplatz hätte man noch meinen können, ich wäre ein wahnsinniger Serienkiller. Außerdem lachte ich Freunde prinzipiell nicht aus, egal welche Scheiße sie gerade ausheckten.
Tony drehte sich zu mir. „Ich denke, ich möchte es gerne offiziell machen. Ich meine, das mit Chloe und mir.“
Das konnte nicht sein Ernst sein. Ich schlug die Hände vors Gesicht und zog sie langsam nach unten. Plötzlich hatte ich das Bedürfnis meinen Freund unter eine kalte Dusche zu stellen, die ihm die Augen öffnete. „Hör zu, Mitchell. Ich will hier echt nicht den großen Bruder raushängen lassen …“ Besonders deshalb nicht, weil es mir immer fürchterlich auf die Nerven ging, wenn Rachel diesen Scheiß bei mir abzog. „Aber du solltest diese Entscheidung echt noch einmal überdenken. Gründlich. Du und Chloe … das hat keine Zukunft. Sie ist einfach nicht der Typ für feste Bindungen. Sie ist …“
„Wie du?“
„Ja, vielen Dank auch“, murmelte ich. „Aber das ist vielleicht sogar die Wahrheit. Dieses Mädchen hat eine lebhafte Vergangenheit. Eine Akte, wenn du so willst. Und darin kommst du auf Seite fünfzig oder vielleicht noch weiter hinten vor. Jetzt ist sie vielleicht noch an dir interessiert, aber ich verspreche dir, sie lässt dich fallen, noch bevor du deine Hose wieder hochgezogen hast.“
„Das wird nicht passieren. Sie mag mich wirklich.“
Verdammt noch mal, warum hörte er mir nicht zu? Das wurde echt frustrierend. Ich richtete mich auf und mein Ton wurde kühler. „Wie bald hast du vor, mit ihr in die Kiste zu steigen?“
Tony presste seine Lippen aufeinander und zuckte mit einer Schulter.
„Na schön. Dann unterhalten wir uns danach noch einmal. Aber sei dir darüber im Klaren, dass Liza nicht mehr da sein und auf dich warten wird, sobald du mit einer anderen herumgemacht hast.“
„Dass Liza und ich jemals ein Paar werden, ist ausgeschlossen. Sie soll ja gar nicht auf mich warten. Ich will sie nur nicht als guten Kumpel verlieren.“
„So wie die Dinge stehen, wird aber genau das passieren.“
„Ich brauche nur etwas mehr Zeit, um ihr die Sache zu erklären. Deshalb bitte ich dich und die Jungs auch, die Klappe zu halten, was mich und Chloe angeht. Nur so lange, bis ich Gelegenheit hatte, mit Liz ins Reine zu kommen.“
Mir kam dabei ein Grinsen aus. „Sag hinterher ja nicht, ich hätte dich nicht gewarnt, mein Freund.“
Und ganz plötzlich wurde mir klar, dass ich mir selbst gerade mit jedem weiteren Wort die winzige Chance mit Liza zerstörte. Ich hatte nicht vor, noch einmal in den Schatten zu treten, wenn Tony so offensichtlich den falschen Kurs mit Chloe einschlagen wollte. Da gab es nur noch eine Sache zu klären.
„Du willst Chloe Summers? Hol sie dir. Ich werde meinen Mund halten. Du willst Matthews im Team. Ist gebongt. Aber nur unter einer Bedingung.“
„Und die wäre?“
Die Baumrinde scheuerte gegen meinen Rücken, als ich mich fester gegen den Stamm lehnte. „Als Mitglied unseres Teams wird sie auch als solches behandelt und ist offiziell nicht länger dein heiliges Eigentum.“ Ich wartete kurz, bis dieser erste Teil an Information auch wirklich bei ihm angekommen war. „Wenn sie Fußball spielt, kommt sie auch zu meinen Partys. Du wirst sie nicht davon abhalten. Und was auch immer dort passiert, das heißt, wenn einige der Jungs Liza anbaggern, dann wirst du dich gefälligst zusammenreißen.“
Ein paar Sekunden verstrichen, doch Tony blieb still.
„Ich will keine Rivalitätskämpfe in meinem Team“, fügte ich hinzu. „Haben wir uns verstanden?“
Ohne ein Wort zu sagen, stand Tony auf und ging langsam zum schmalen Eingang des Spielplatzes. Er drehte sich nicht zu mir um, als er vor der niedrigen Gittertür stehen blieb. „Verstanden.“
*
Die halbe Nacht lag ich wach und dachte darüber nach, ob ich nicht vielleicht doch hätte versuchen sollen, meinen Freund zur Vernunft zu bringen. Er würde auf dem Arsch landen, das war klar, doch der Schwachkopf wollte es einfach nicht wahr haben. Wenn es bei der ganzen Sache nur um Chloe und Tony gegangen wäre, hätte ich keinen weiteren Gedanken an die beiden verschwendet, sondern Tony seine eigenen Erfahrungen machen lassen, die ihn hinterher zu einem klügeren Mann machen würden.
Aber ich wusste genau, wie die Sache ausgehen würde. Am Ende wäre es Liza, die verletzt würde. Dafür, dass Tony die Chance mit Liza, die ich immer haben wollte und die er schon sein ganzes Leben lang bekam, einfach so zum Fenster hinaus warf, hätte ich ihm am liebsten in den Hintern getreten.
Aber wer war ich schon, dass ich die Welt verändern wollte? Und nach so vielen Jahren, in denen ich meine Gefühle für Liza immer verborgen gehalten hatte, war es nun endlich an der Zeit, einmal nur an mich zu denken. Na ja, an mich und sie. Morgen Nacht würde sie in meinem Haus mit uns feiern, als Mitglied unserer Mannschaft. Aftermatch-Partys gehörten einfach dazu, und ich würde verdammt noch mal eine Riesen-Fete schmeißen, um die neuen Mitglieder im Team willkommen zu heißen.
Ich schrieb eine kurze SMS mit einer Einladung für morgen und sendete diese an eine Gruppe von gut sechzig Leuten. Die würden schon dafür sorgen, dass auch alle anderen von der Party erfuhren. Meine Mom war auch unter den sechzig gespeichert, nur für den Fall, dass ich morgen vergessen würde, es ihr zu sagen. Um einen gefüllten Kühlschrank musste ich mich normalerweise nicht sorgen. Genügend Getränke und jede Menge Snacks waren immer im Haus, und einige der Gäste würden sowieso wieder Bier und Bowle mitbringen. Die Fete stellte sich praktisch von selbst auf die Beine.
Aber das Beste an der Sache war, dass morgen endlich mein Traummädel auf meiner Party erscheinen würde. Irgendwann nach Mitternacht schlief ich mit einem Lächeln auf den Lippen ein.
Am nächsten Morgen durchlief ich meine übliche Routine. Duschen, rasieren, anziehen – alles mit lauter Musik, die aus den Boxen an meiner Zimmerdecke dröhnte. Im Moment schmetterten P!nk und Nate Ruess gerade ein Duett. „Just Give Me A Reason.“ Ich mochte den Song, denn er war gleichzeitig Lizas Klingelton und erinnerte mich an sie.
Ich zog meine weißen Shorts an, setzte mich auf die Bettkante und band meine Schnürsenkel. Meine Fußballschuhe stopfte ich in den Rucksack für später auf dem Feld. Aus dem Kleiderschrank fischte ich ein frisches Trikot und schlüpfte hinein. Normalerweise trug ich immer meine Indians-Baseballmütze und wollte gerade nach ihr greifen, als ich mich nach einem kurzen Blick in den großen Spiegel an der Tür doch dagegen entschied. Mein Haar war vom Duschen immer noch nass und stand in alle Richtungen. Ich wusste, dass dieser Out-of-Bed-Look bei den Mädchen ziemlich gut ankam. Vielleicht sollte ich ihn heute mal bei Liza testen.
Ich lief zurück ins Badezimmer und presste ein klein wenig Haar-Gel in meine Handfläche – gerademal genug um die Frisur zu fixieren und das Ganze nicht klebrig aussehen zu lassen.
Mit den Autoschlüsseln in der Hand lief ich die Treppe hinunter. Aus dem Esszimmer drangen Stimmen. „Mom!“ rief ich auf dem Weg zur Tür über meine Schulter, denn ich war spät dran und wollte nicht noch mehr Zeit verlieren. „Hast du meine Nachricht erhalten?“
„Ja, Schatz!“, kam ihre Antwort aus dem Esszimmer. „Dein Vater und ich sind heute Abend zu Mary Fishers Geburtstagsfeier eingeladen. Wir werden also nicht zuhause sein!“
„Ja!“, flüsterte ich, hob die Arme und ballte meine Hände zu Siegerfäusten. Partys waren um so Vieles besser, wenn ich das Haus für mich alleine hatte. „Ich muss jetzt los zum Training. Bis später, Mom!“
In unserer riesigen Doppelgarage wirkte mein Audi A3 wie ein Zwerg neben dem Chrysler meines Vaters. Ich konnte es kaum erwarten, endlich wieder hinter dem Steuer dieses silbergrauen Flitzers zu sitzen. Das Auto war ein Geschenk meiner Eltern zu meinem achtzehnten Geburtstag kurz vor Beginn des Trainingslagers gewesen. Mit meinen eigenen Ersparnissen ließ ich den brandneuen Wagen dann noch etwas tunen, verpasste ihm zwanzigzoll Reifen auf Aluminium-Tiefbettfelgen und ließ ihn so tief legen, dass er den Staub vom Asphalt lecken konnte. 240 PS sorgten dafür, dass dieses Baby von null auf 100 in nur vier Sekunden beschleunigte.
Ich stieg in den Wagen, lehnte mich zurück und atmete den Duft von neuem Leder ein, während ich sanft über das Lenkrad strich. „Hast du mich vermisst, Kätzchen?“
Die Antwort darauf erhielt ich, als ich den Startknopf drückte und einmal kurz aufs Gaspedal tippte. Der kleine Flitzer heulte in einem Ton, der seine großen Brüder vor Neid erblassen ließe. Ich liebte dieses Geräusch.
Ich drückte den kleinen Knopf auf der Fernbedienung an meinem Schlüsselbund und das automatische Garagentor begann langsam nach oben zu rollen. Das hereinströmende Sonnenlicht blendete mich, also griff ich nach meiner Sonnenbrille in der Mittelkonsole, öffnete sie mit einem Schütteln und setzte sie auf.
Mit der Musik auf gehörschädigender Lautstärke ließ ich den Audi aus der Garage rollen und dann die Einfahrt runter zur Straße. Schließlich hetzte ich das Baby zur Schule, die gleich neben dem Fußballplatz war, nur etwa zwei Meilen von mir zuhause entfernt. Der Parkplatz war ungewöhnlich voll für einen Samstagmorgen, was nur bedeuten konnte, dass mehr Schüler als erwartet zu den Qualifikationen gekommen waren.
Ich schnappte meinen Rucksack vom Boden der Beifahrerseite, stieg aus und schwang ihn mir über die Schultern. Dann sperrte ich den Wagen ab und machte mich auf den Weg hinüber zum Trainingsplatz.
Torres, Frederickson, Sebastian Randall und Alex waren bereits voll im Einsatz. Ich hatte sie gebeten, mir heute bei der Auswahl der Mädels zu helfen, ein wenig mit ihnen Ball zu spielen und ihr Können zu bewerten. Frederickson war unser Torwart. Er musste also nur das tun, was er immer tat. Der Rest der Menge auf dem Rasen war ausschließlich weiblich.
Da Tony noch nicht hier war, machte ich mir erst gar nicht die Mühe, nach Liza Ausschau zu halten, denn so, wie ich sie kannte, würde sie keinesfalls alleine hier aufkreuzen. Ich ging zielstrebig hinüber zur Trainerbank, wo bereits eine Million Handtaschen und Rücksäcke herumlagen … und ein Mädchen saß. Während alle anderen bereits Aufwärm- und ein paar Dehnübungen machten, oder sich auf dem Spielfeld unterhielten, las sie ein Buch.
Sie ging in keinen meiner Kurse, ausgegangen war ich auch noch nie mit ihr, aber ich war mir absolut sicher, dass sie mir gestern bei Charlie ihren Namen verraten hatte. Verdammt, wie war er noch gleich?
Ich ließ meinen Rucksack neben ihr fallen und sagte: „Hi.“
Sie hob den Kopf und nahm dabei ihre Metallrahmenbrille ab. „Hey.“
„Spannende Geschichte?“
„Und wie!“ Dann wurde sie plötzlich rot wie ein Stopp-Schild und verzog das Gesicht. Vermutlich, weil sie gerade meine kleine Anspielung verstanden hatte. Es war schon seltsam, zum Fußballtraining zu kommen, um dann lieber zu lesen. „Ich hab nur noch ein halbes Kapitel und ich konnte es einfach nicht weglegen.“
Süß, die Kleine. Sie brachte mich zum Lachen. „Lies dein Buch fertig. Ich brauch ohnehin noch ein paar Minuten um alles vorzubereiten.“
Sie wirkte total erleichtert, setzte ihre Brille auf und steckte die Nase wieder in ihr Buch. Ich schüttelte den Kopf, musste aber schmunzeln. Ich fischte die Namenliste aus meinem Rucksack und ging mit dem Finger auf dem Papier die Liste von oben bis unten durch, auf der Suche nach dem Namen, welchen ich unter den von Elisabeth MacKenzie geschrieben hatte. Ich war mir nämlich ziemlich sicher, dass Elisabeth gestern im Café neben diesem Mädchen gesessen hatte. Jap, da stand er. Miller. So war ihr Name.
Ich setzte mich neben sie und wechselte meine Schuhe. Ein dumpfer Knall neben meinem Ohr verriet mir, dass sie ihr Buch nun fertig gelesen hatte.
„Wie willst du das Ganze heute handhaben?“, fragte sie mich.
Ich machte einen Doppelknoten in die Schnürsenkel und blickte dann hoch zu ihr. „Was meinst du?“
„Na ja, da sind ungefähr fünfzig Mädchen, die in dein Team wollen. Wie hast du vor, zwischen uns allen zu entscheiden?“
Ich band mir den zweiten Schuh. „Keine Ahnung. Ich werde euch wohl erst mal ein paar Tore schießen lassen und all so was. Dann seh ich euch noch ein bisschen beim Spielen zu.“
„Wird nicht leicht sein, bei so vielen Mädchen“, erwiderte sie und verstaute ihr Buch in einem der Tausend Rucksäcke. „Hast du einen Plan?“
Nein, hatte ich nicht. Denn eigentlich dachte ich, dass ich zwischen fünfzehn auswählen musste, vielleicht zwischen zwanzig. Ganz sicher hatte ich nicht damit gerechnet, die halbe Highschool hier vorzufinden. Ich runzelte die Stirn und kaute auf meiner Unterlippe.
„Das heißt dann wohl nein, richtig?“
„Nein. Richtig.“
Über meine Antwort lachte sie und schlug vor: „Vielleicht solltest du für gewisse Aufgaben Punkte vergeben. Und am Ende wählst du die, mit der höchsten Punktezahl.“
„Das ist eine hervorragende Idee.“ Ich stand auf und schenkte ihr eines der Lächeln, die ich normalerweise für Willst-du-mit-mir-ausgehen-Momente aufhob. Aber das war okay, denn diese Momente waren sowieso rar geworden.
Leider war das einzige Blatt Papier, das ich mitgenommen hatte, die Namensliste und die war bereits vollgeschrieben. Darauf war kein bisschen Platz mehr frei, um auch nur irgendwelche Notizen zu machen. „Du hast wohl nicht rein zufällig …“
„Einen Notizblock?“, beendete sie den Satz für mich und ahmte dabei meinen Tonfall nach, den ich zuvor bei ihr angewendet hatte, als ich sie wegen des Buches aufgezogen hatte. Aber ihr Grinsen verriet, dass sie auch einen Block mithatte. Sie reichte ihn mir gemeinsam mit einem rosa Kugelschreiber.
„Perfekt.“ Ich legte den Notizblock auf dem kleinen Tisch vor der Tribüne ab und zog eine zweite Bank näher heran, sodass ich mich beim Schreiben hinsetzen konnte. Das Mädel kam rüber und half mir mit der Bank.
Ich bedankte mich bei ihr und sie nickte, dann spazierte sie raus auf den Platz. Es geschah nicht sehr oft, dass jemand so schnell in meine ‚Cool-Zone‘ gelangte, aber die Kleine war süß. Klug und hilfsbereit.
„Hey, Susan!“, rief ich ihr nach.
Als sie stehen blieb und sich umdrehte, war da dieser überraschte Blick in ihrem Gesicht. „Ja … Ryan?“
Ah, es war also die Sache mit dem Namen, besser gesagt dem Vornamen. Ich musste schmunzeln. Ihren würde ich mit Sicherheit nicht mehr vergessen. „Hättest du Lust, mir bei den Aufzeichnungen zu helfen? Ich denke nur, es macht wahrscheinlich mehr Sinn, wenn ich bei den anderen auf dem Feld bin, als hier zu sitzen und Notizen zu machen.“
Susan stapfte zu mir zurück, machte ein ärgerliches Gesicht und verschränkte die Arme vor ihrer flachen Brust. „Du willst, dass ich Sekretärin für dich spiele?“
„Ah-pff …“ Ich hatte sicher nicht vor, sie zu beleidigen. Und um ganz ehrlich zu sein, hatte ich keine Ahnung, was ich darauf antworten sollte.
Glücklicherweise verzog sie ihr süßes Gesicht im nächsten Moment zu einem Lächeln und gab mir einen Mädchenklaps auf die Schulter. „War nur ein Scherz, Hunter. Natürlich werde ich dir helfen.“
Ich lachte und rollte dabei mit den Augen. Jap, ich mochte sie definitiv. Wir besprachen, dass sie einen Raster auf das Blatt Papier zeichnen und am Ende einfach die erreichte Punktezahl je Übung pro Mädchen addieren würde.
Ihr Notizblock entpuppte sich außerdem als kleine Wundertüte, denn als Nächstes riss sie zwei Seiten von ganz hinten heraus, auf denen quadratische Sticker klebten, und reichte sie mir. „Du schreibst jetzt eine Nummer auf jeden dieser Sticker und sagst den Mädels, dass sie sich das auf den Hintern oder sonst wohin kleben sollen. Es ist für mich leichter mit Nummern zu arbeiten.“
Sie drückte mir einen Bleistift in die Hand und scheuchte mich wie eine echte Sekretärin davon.
Die Mädels auf dem Platz stellten sich in Reih und Glied auf und eine nach der anderen holte sich einen Sticker bei mir ab, wobei ich die Namen zu den Nummern zu Susan hinüber rief. Chloe war eine der Ersten und ihre Freundin Brinna kam natürlich gleich hinter ihr an die Reihe. Innerhalb von drei Minuten hatte ich bereits über dreißig Sticker verteilt, doch die Schlange vor mir hatte sich höchstens halbiert. Es war unglaublich, wie viele Mädchen an unserer Schule tatsächlich Fußball spielen wollten, und plötzlich fragte ich mich, ob das vielleicht in irgendeiner Weise etwas mit uns Jungs zu tun hatte. Womöglich war es gar nicht der Sport, der sie anzog …
„Fünfundvierzig, Higgins! Sechsundvierzig, Stevenson! Siebenundvierzig …“ Ich hob den Kopf, um zu sehen, wer als Nächstes kam, und blickte in das Gesicht des Mädchens, das bereits neunundneunzig Prozent meiner Gedanken dominierte. „Matthews.“
Kapitel 4
ES WAR SCHÖN zu sehen, dass Liza ausnahmsweise auch mal lächelte, wenn sie mich sah. Das hatte sie noch nie getan. Allerdings beruhte das ja auf Gegenseitigkeit, denn über einen flüchtigen Blick im Schulkorridor hinaus, hatten wir bisher nicht wirklich viel Augenkontakt gehabt. Es war wohl eine gute Idee, die Baseballmütze heute weg zu lassen. Ihr Blick wanderte unübersehbar nach oben zu meiner Chaosfrisur, doch sie senkte ihn blitzschnell und sah mir verlegen ins Gesicht, so als ob sie jemand beim Spionieren ertappt hätte. Es machte mir nichts aus. Wenn ihr gefiel, was sie sah, konnte sie mich meinetwegen den ganzen Tag anstarren und ausspionieren.
Ein zuversichtliches Gefühl machte sich in meinem Bauch breit. Ja, die Dinge würden sich von nun an radikal ändern.
„Viel Glück, Matthews.“ Ich gab ihr den Sticker mit ihrer Nummer und sie klebte ihn sich auf die linke Brust. Dann strich sie ihn auch noch glatt auf ihrem T-Shirt.
Ach du Scheiße, konnte sie das bitte lassen? Mein Blick blieb an dem Sticker und ihrer Brust hängen, während mir das Wasser im Mund zusammenlief und ich befürchtete, ich könnte kein Wort mehr sagen, ohne mich dabei voll zu sabbern.
Zu meinem Glück schenkte sie meiner momentanen Geistesschwäche keine weitere Aufmerksamkeit, sondern drehte sich zu Mitchell um. Ich bemühte mich, meine Haltung wieder zu finden und nickte Tony zur Begrüßung zu. Dann hustete ich, um den Kloß in meinem Hals los zu werden und rief dann ins allgemeine Gemurmel: „Alle mal herhören. Fürs Warm-up läuft erst einmal jeder drei Runden um das Feld.“
Nach ein wenig Proteststöhnen setzte sich die Menge in Bewegung. Susan verließ ihren Schreibtisch, um am Aufwärmen teilzunehmen und ich joggte zu ihr rüber, um ein Stück mit ihr zu laufen.
„Danke für deine Unterstützung“, sagte ich. „Das ist echt cool von dir.“
„Keine Ursache.“ Sie rang nach Luft, als wir die zweite Runde starteten. „Solange ich dafür einen Sonderstatus bei den Qualifikationstests habe, ist alles okay.“
Ich mochte ihren Sinn für Humor. Doch in Wirklichkeit hatte ich selbst schon darüber nachgedacht, sie ins Team zu holen, ob sie nun bei den Tests gut abschnitt oder nicht. Sie war witzig und passte perfekt zu uns Jungs.
„Mach dir darüber mal keine Sorgen, Miller. Solange du einen Ball mit dem Fuß treffen kannst, seh ich da kein Problem.“
Ich verließ kurz darauf ihre Seite und gesellte mich zu Alex und Frederickson, die bei dem kleinen Tisch saßen, und gemeinsam beobachteten wir, wie die ersten Mädels bereits nach Luft rangen.
„Mitchells Herzallerliebste wird zusammenbrechen, bevor sie die drei Runden überhaupt gelaufen ist“, sagte Frederickson.
Automatisch suchte ich die Menge nach Chloe ab, doch sie lief wie ein Profi. Aber natürlich, für jeden anderen war immer noch Liza Tonys Herzblatt. Im Moment kroch sie eher, als sie lief, und schnaubte wie eine Dampflok.
„Verdammt. Das ist gar nicht gut“, murmelte ich.
„Wieso? Was ist los“, wollte Alex wissen.
„Mitchell hat mich gestern gebeten, sie ins Team zu holen.“ Und das würde ich auch tun, selbst wenn es bedeuten würde, ich müsste sie die letzte Runde auf dem Rücken tragen.
„Tja, dann wirst du wohl besonders sanft zu der Kleinen sein müssen.“ Alex lachte und ließ mich mit Frederickson allein. Etwas sagte mir, dass sein kleiner Scherz eher auf meine Schwäche abzielte als auf Lizas.
Als die meisten Mädchen das Warm-up beendet hatten, startete ich den Qualifikationstest mit einem kleinen Torschusswettbewerb. Jede sollte zumindest ein Tor schießen. Wenn der erste Schuss ein Treffer war, gab es dafür drei Punkte. Null Punkte, wenn es ihr nach dem dritten Versuch immer noch nicht gelungen war, den Ball an Frederickson vorbeizubekommen. Natürlich strengte sich Frederickson nicht sonderlich an. Er brachte eher so um die fünfzehn Prozent seines tatsächlichen Könnens. Aber wir wollten heute ja auch kein Match gewinnen, sondern nur das Team aufstocken. Fünfzehn Prozent reichten also völlig aus.
Ich wurde ein klein wenig aufgeregt, als die Nummern vierzig bis sechsundvierzig ihr Können unter Beweis stellten. Liza war als Nächste an der Reihe und ich konnte es kaum erwarten, Tore schießen mit ihr zu üben. Aber als ich mich umdrehte, saß sie auf dem Rasen und unterhielt sich mit Mitchell, der ihr gerade etwas zu trinken in einem Pappbecher überreichte.
Ich hatte mich schon vor langer Zeit damit abgefunden, dass Tony ihr bester Freund war, ihr Gefährte, ihr Spielkamerad, was auch immer. Es hatte mich zwar immer genervt, doch gesagt hatte ich nichts. Aber seit letzter Nacht – seitdem mir Tony erzählt hatte, dass er ernsthaft etwas mit Chloe am Laufen hatte – war ich plötzlich eifersüchtiger denn je. Bei jeder auch nur kleinsten Berührung zwischen ihnen überfiel mich das Bedürfnis, ein Loch in eine Wand zu schlagen. Das war echt ein Problem und ich konnte nur hoffen, dass Tony Liza gegenüber bald mit der Wahrheit herausrücken würde. Sie würde ihn dann mit ganz anderen Augen sehen. Mit Augen, die nicht mehr diesen Küss-mich-küss-mich-Tony-Blick hatten.
„Matthews! Du bist dran!“, rief ich und schoss den Ball zu ihr rüber.
Liza drehte sich zu mir und fing den Ball mit beiden Händen auf. Nett. Zumindest hatte sie gute Reflexe.
Ich wartete neben dem Torpfosten, bis sie den Ball endlich ins Gras legte und mit wenig Power zu Frederickson passte. Er musste sich nicht einmal bewegen, um den Ball aufzuhalten. Tatsächlich verendete der Pass auf halbem Weg. Verfluchter Mist. Fangen konnte das Mädel zwar, schießen aber leider nicht.
„Komm schon, Matthews!“, rief ich, hob den Ball auf und joggte zu ihr rüber. Der Schweiß auf ihrer Haut glänzte in der Sonne und sie war immer noch ziemlich außer Atem nach dem kurzen Warm-up. Liza sah aus, als würde sie jeden Moment das Handtuch werfen. Doch das konnte ich nicht zulassen. Also versuchte ich, sie herauszufordern, in dem ich sie schief angrinste und sagte: „Ich hab schon gesehen, wie du Mitchell härter in den Arsch getreten hast.“
Da sie meinem Blick nicht auswich, nahm ich an, dass sie bereit für einen zweiten Versuch war. Ich ließ den Ball vor ihr ins Gras fallen, dann legte ich meine Hände auf ihre Schultern und schob sie ein kleines Stückchen zurück. „Dieses Mal nimm einen kurzen Anlauf und steck etwas mehr Kraft in deinen Schuss.“
Das war das allererste Mal, dass ich Liza Matthews berührt hatte und ich dankte Gott für die Erfindung von Tanktops. Ihre Haut fühlte sich sanft und warm an. Ein blumiger Duft stieg mir in die Nase. Ich hatte zwar keine Ahnung, was genau sie üblicherweise nach einer Dusche auf ihre Haut auftrug, doch der Geruch dieser Körperlotion raubte mir beinahe den Verstand. Sogar die Blicke der anderen wären mir so was von egal, wenn ich Liza gleich küssen würde.
Unglücklicherweise sah sie darüber, was ich mit ihr vorhatte, nicht so erfreut aus. Damit meinte ich natürlich die Sache mit dem Anlauf nehmen. Von meinem Drang, sie zu küssen, hatte sie keine Ahnung.
Sie krallte sich an Mitchells Shirtkragen fest und flehte ihm ins Ohr: „Oh nein, lass nicht zu, dass er das mit mir tut. Wir wissen beide, ich werde über das Scheißding stolpern.“
Sie sah so überaus süß aus in ihrer Panik, dass ich ein Lachen nicht zurückhalten konnte. Tony löste ihre verkrampften Finger. „Nein, das wirst du nicht“, munterte er sie auf. Dann warf er mir einen kurzen, fragenden Blick zu, so als würde er mich für irgendetwas um Erlaubnis bitten. Was auch immer es war. Ich vertraute ihm voll und ganz, also nickte ich unauffällig. Schließlich wollten wir beide ja dasselbe – Liza im Team.
„Ich sag dir was“, fuhr er fort. „Wenn du Frederickson genau auf die Brust triffst, spendiere ich dir später einen riesigen Schokoladeneisbecher. Abgemacht?“
Es galt zwar nicht als Tor, wenn der Ball nicht hinter der Linie landete, doch solange das Ergebnis dasselbe war, nämlich, dass Liza noch einmal schoss und sich damit qualifizierte, hatte ich nichts gegen seine Idee einzuwenden.
Liza überlegte kurz und begann schließlich zu grinsen. „Abgemacht.“ Sie nahm die drei Schritte Anlauf und pfefferte den Ball dann geradewegs auf Frederickson zu, der ihn locker auffing.
Prüfung bestanden.
„Ausgezeichnet“, rief ich und wünschte mir gleichzeitig, dass ich derjenige wäre, der sie später auf ein Eis einladen würde.
Ich lief zu Susan hinüber. „Nummer siebenundvierzig bekommt drei Punkte in der Kategorie Tore schießen.“
Sie hatte natürlich gesehen, was gerade auf dem Feld passiert war, weshalb sie mich nun mit einem Stirnrunzeln ansah. Doch ich war der Kapitän dieser Mannschaft. Mein Team, meine Regeln. Ich musste nur kurz eine Augenbraue hochziehen und sofort malte sie eine perfekte 3 neben Lizas Namen. Dann lächelte sie mich auf eine verspielte Schulmädchenweise an und ich grinste zurück. Es gefiel mir, wie wir auf so unkomplizierte Weise miteinander kommunizierten.
Als der Torschusswettbewerb mit den restlichen Mädchen beendet war, gesellte ich mich zu meinen Freunden, Alex und Sasha, die gerade mit ein paar anderen das Passen im Laufen übten. Mitchell trainierte dasselbe mit Liza. Sie war zwar keine Meisterin dieser Kategorie, doch sie stellte sich gar nicht mal so schlecht an. Ihr gelangen sogar ein paar ganz passable Pässe. Während ich den beiden eine Zeit lang zusah, dachte ich darüber nach, ob ich Liza für diese Aufgabe die berechtigten zwei Punkte oder doch lieber alle fünf geben sollte.
In der nächsten Qualifikationsrunde, in der es darum ging, den Ball mit möglichst vielen Kicks in der Luft zu halten, ohne dass er den Boden berührte, war sie echt lahm. Ich versteckte meine Grimasse hinter meinen gefalteten Händen. Es hatte gar keinen Sinn auch nur mit dem Zählen ihrer Kicks anzufangen.
Ich kratze mich im Genick. Mit einer fairen Bewertung würde sie es niemals in die Mannschaft schaffen. Mindestens zwanzig andere Mädchen waren um das Doppelte besser. Das einzig Positive an der Sache war, es gab immer noch schlechtere Spielerinnen als sie.
Auf dem Weg zu Susan zwang mich ein hinterhältiger Angriff auf die Knie. Eines der Mädchen hatte den Ball wohl etwas zu hart getroffen und Alex konnte ihn nicht mehr stoppen, bevor er mir hinten gegen das Bein knallte. Autsch. Als ich zu Boden ging wie ein erlegter Hirsch, brachen alle in schallendes Gelächter aus. Unter ihnen war auch Alex und es vergingen gerade mal zwei Sekunden, bis mein Freund unter mir auf dem Boden lag. Wir kämpften und alberten herum wie zwei junge Welpen.
„Hey, Sash!“, rief Frederickson über uns. „Hilf mir, die Kinder auseinander zu halten. Die sind immer so ungestüm, wenn sie morgens Kaffee zu trinken bekommen.“
Alex und ich packten beide je ein Bein von Frederickson und besiegelten seinen Niedergang.
„Ach, jetzt kommt schon, Jungs“, hörte ich Chloes genervte Stimme über uns. „Könnt ihr das vielleicht auf später verschieben? Einige von uns würden gerne erfahren, ob wir nun im Team sind oder nicht.“
Ich kämpfte mich frei von Alex und Frederickson und blickte Chloe halbherzig an. „Du hast die volle Punktezahl in allen Test erreicht, Summers. Wir können wohl davon ausgehen, dass du dabei bist.“
Chloe hüpfte wie ein aufgescheuchtes Reh davon, und ich konnte mich endlich Miller widmen, die noch auf die letzten Punktezahlen von mir wartete. Ich kam von hinten an sie heran und lehnte mich über sie, wobei ich meine Hände links und rechts neben ihr auf dem Tisch abstützte. Susan erschrak und japste nach Luft. Wenn ich sie richtig einschätzte, hatte sie bisher noch keinen festen Freund gehabt, geschweige denn einen Jungen geküsst. Sie war vermutlich viel zu sehr mit Lesen beschäftigt. Schade eigentlich. Sie war wirklich cool und duftete nach Vanillemilch. Außerdem hatte sie ein süßes Gesicht, trotz Brille. Das Einzige, was hier noch fehlte, waren Brüste. Aber sie war erst sechzehn. Die würden auch noch kommen.
Ich zeigte mit dem Finger auf die Liste. „Dreiundfünfzig und vierundfünfzig bekommen je drei Punkte für den Pässe-Lauf und sie haben sieben und zehn bei den Luftkicks erreicht. Bei sechsundfünfzig bis achtundfünfzig brauchst du gar nichts mehr einzutragen. Die werden es ohnehin nicht schaffen.“
„Okay, das wären dann alle … bis auf eine.“ Susan neigte ihren Kopf und betrachtete mich aus dem Augenwinkel. „Du hast mir die Zahlen für Liza Matthews noch nicht genannt.“
„Hab ich nicht?“ Ein Grinsen genügte und Susan fing an zu schmunzeln.
„Lass mich raten. Fünf Punkte für den Pässe-Lauf und bei den Luftkicks schaffte sie wahrscheinlich imaginäre … zwölf?“
„Fünfzehn.“
Sie zeigte mit dem Kugelschreiber auf mich. „Ja, richtig.“ Dann trug sie brav die Zahlen in die Liste ein, doch ein vielsagendes Lächeln lag auf ihren Lippen.
Ich lehnte mich etwas tiefer und flüsterte ihr ins Ohr: „Dir ist hoffentlich klar, dass du als meine Assistentin voll mit drinnen hängst und zur Verschwiegenheit verpflichtet bist.“
„Selbstverständlich.“ Sie grinste genau so blöd wie ich in diesem Moment und da wusste ich, dass ich ihr voll und ganz vertrauen konnte. Als sie den Stift weglegte, nahm ich sie bei der Hand und zog sie auf die Beine. „Okay, Bücherwurm, du bist an der Reihe. Jetzt zeig mal, was du drauf hast.“
Als meine inoffizielle Sekretärin hatte sie bisher noch keine Gelegenheit gehabt, richtig an den Ausscheidungen teilzunehmen. Daher führte ich sie kurzerhand selbst durch den Parcours. Wahrscheinlich würde sie nie ein Profifußballer werden, jetzt nicht und auch nicht irgendwann. Doch in den meisten Kategorien war sie besser als Liza, und obwohl man ihre Punktezahl vergessen konnte, holte ich sie letztendlich ins Team.
Ihr Schatten fiel über die Liste vor mir, als sie sich darüber beugte, um herauszufinden, was ich gerade aufschrieb. Mit einem verschmitzten Lächeln richtete sie sich wieder auf. „Manche Leute meinen, du seist ein Arsch, Hunter. Komisch, ich kann gar nicht verstehen, weshalb.“
„Das kommt daher, dass die meisten Leute mich nicht richtig kennen“, erklärte ich ihr und zwinkerte ihr dabei zu. Dies rief ein breites Lächeln bei ihr hervor.
Als Nächstes ging ich aufs Spielfeld und hieß die neuen Mädels im Team willkommen. Als Liza endlich kapierte, dass sie ebenfalls dabei war, stand ihr Mund offen als wollte sie Fliegen damit fangen. Offensichtlich brauchte sogar Tony einen Moment, um ihr zu versichern, dass sie sich nicht verhört hatte. Fröhlich wie ein junges Kätzchen lief sie rüber zur Trainerbank und fischte ihren Rucksack aus der Masse.
Ich folgte ihr. Der erste Schritt war getan und sie gehörte nun zu meiner Mannschaft. Schritt zwei: Komm zu meiner Party.
Als ich direkt hinter ihr stand, wollte ich gerade hi sagen, doch sie drehte sich so schnell um, dass sie gegen meine Brust knallte und mich ein paar Schritte nach hinten bugsierte. Ich stützte sie bei den Ellenbogen, damit sie nicht stolperte. „Gratuliere, Matthews. Du hast dich echt gut angestellt“, sagte ich.
„Ja, was auch immer“, gab sie mürrisch zurück.
Ich war so überrumpelt, dass ich sie nicht einmal aufhalten konnte, als sie mit einem angepissten Ausdruck im Gesicht schnurstracks an mir vorbeistapfte. Doch dann hielt sie plötzlich an und wirbelte herum, die Arme vor der Brust verschränkt. „Sag mal, was schuldet dir Tony dafür, dass du mich in die Mannschaft aufgenommen hast?“
Whoa. Darauf war ich nicht vorbereitet. Verdammt, was sollte ich ihr jetzt bloß sagen? Die Wahrheit etwa? Oder sollte ich lieber lügen? Vielleicht sollte ich auch gar nichts sagen und sie einfach an mich drücken, um sie mit einem leidenschaftlichen Kuss abzulenken. Ich wäre definitiv für die letztere Option, aber es würde mich bei ihrer miesen Laune wohl auch nicht sehr viel weiter bringen. Also gab ich einem Impuls nach und lachte. Sie musste sich wohl oder übel mit der halben Wahrheit zufriedengeben. „Das willst du nicht wissen.“
Oh ja, und ob sie es wissen wollte. Der Ausdruck in ihrem Gesicht drohte die Wahrheit aus mir heraus zu quetschen, falls ich nicht schnell die Fliege machte. Irgendwann einmal würde ich ihr vermutlich sogar erzählen, worum es bei der Sache ging. Aber bestimmt nicht heute. Ich drehte im Stand um und marschierte los, doch dann fiel mir plötzlich wieder ein, warum ich überhaupt zu ihr rüber gekommen war.
Ich warf einen Blick über meine Schulter. „Ich sehe dich dann später bei mir.“
Ihre Augen weiteten sich und die Überraschung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Freudige Überraschung. Mehr brauchte ich nicht. In diesem Moment war klar, heute Abend würde Liza auf meiner Party auftauchen. Und in meinem Haus spielten wir nach meinen Regeln. Sie hatte zwar noch keine Ahnung, aber ich würde ihr keine Wahl lassen. Am Ende würde sie mein Mädchen sein.
Ich grinste wie ein Vollidiot, als ich meinen Rucksack schnappte und mich auf den Weg zu meinem Wagen machte. Ich hatte gerade rückwärts ausgeparkt und fuhr langsam auf die Straße hinaus, als ich Susan Miller auf dem Gehsteig sah. Sie war das einzige, neue Mannschaftsmitglied, das noch nie bei mir zuhause war, und ich hatte total vergessen, sie für heute Abend einzuladen. Ich bremste auf Schritttempo, ließ das Seitenfenster herunter und stützte mein Kinn auf das Lenkrad, damit ich ihr Gesicht sehen konnte. „Hey, Bücherwurm!“
Sie hielt es nicht für nötig stehen zu bleiben, sondern blickte nur zu mir auf die Straße und rief: „Hi.“
„Kann ich dich irgendwohin mitnehmen?“
Überrascht zog sie eine Augenbraue hoch, etwas, das ich ständig tat. Es war seltsam, diese Geste im Gesicht von jemand anderem zu sehen. „Äh … nein danke“, antwortete sie. „Ich hab nicht weit.“
„Würdest du bitte trotzdem kurz einsteigen? Ich muss mit dir reden.“
Als Susan stehen blieb, trat ich ebenfalls auf die Bremse. Grübelnd blickte sie die Straße hinauf und dann wieder zu mir.
„Wenn das so ist, okay.“ Sie nahm ihren Rucksack ab, stieg ein und setzte die Tasche auf ihren Schoß, während sie sich anschnallte. „Was gibt’s?“
„Ich hab vorhin ganz vergessen, dir etwas zu sagen.“ Ich legte den ersten Gang ein und bog vom Straßenrand zurück auf die Straße. „Wohin müssen wir?“
„Etwa eine halbe Meile die Straße rauf. Dann biegst du links in die Rasmussen Avenue ein. Wenn es um Lizas gefälschte Punktezahl geht, darüber musst du dir keine Gedanken machen. Sie ist zwar meine Freundin, aber ich kann ein Geheimnis für mich behalten.“
„Okay. Gut zu wissen.“ Tatsächlich war das die zweite Sache, die ich unbedingt mit Susan besprechen wollte. „Es war ein persönlicher Gefallen für Mitchell. Er hat mich gestern gebeten, sie ins Team zu holen. Aber das braucht Matthews nicht zu wissen. Ich möchte nicht, dass sie sich deswegen in irgendeiner Weise schlecht fühlt.“
Susan nickte, so als ob sie mit mir völlig einer Meinung war. Doch einen Moment später biss sie sich grüblerisch auf die Unterlippe.
Ich sah sie skeptisch an. „Was?“
„Gar nichts.“
Nun warf ich ihr einen Mach-mir-nichts-vor-Blick zu. „Komm schon, spuck’s aus!“
Susan zögerte noch einen kurzen Augenblick, dann meinte sie: „Na schön. Ich hab mich gefragt, ob es wirklich nur ein Gefallen für Tony war.“
„Was? Dass ich Matthews in die Mannschaft aufgenommen habe?“
„M-hm.“
Ein Lächeln zog meine Mundwinkel nach oben und ich drehte meinen Kopf kurz zu Miller, konzentrierte mich dann aber wieder auf die Straße. „Warum zweifelst du daran?“
Ihr Blick, als sie sich in ihrem Sitz drehte und mich beobachtete, löste ein Kribbeln in meinem Nacken aus. „Na ja, da wäre zum Beispiel die Tatsache, dass du Liza beim Laufen die ganze Zeit auf den Hintern gestarrt hast.“ Es klang nicht wie eine Unterstellung, eher wie eine Frage. Doch dann fügte sie noch schnell hinzu: „Außer es war Tonys Arsch, auf den du gegafft hast, was ich wirklich nicht hoffe. Und dann war da noch diese Sache mit deinen Händen.“
Jetzt hatte sie mich echt neugierig gemacht. „Was meinst du?“
Sie räusperte sich. „Du hast auf eine sehr seltsame, sehr romantische Art daran gerochen, nachdem du sie angefasst hast. Ich gehe mal davon aus, du magst ihren Geruch.“
Je mehr sie erzählte, umso breiter wurde mein Grinsen. „Hast du mir etwa nachspioniert, Bücherwurm?“
„Nimmst du es mir übel, wenn ich sage, dass ich dich beobachtet habe?“ Sie machte ein verlegenes Gesicht. „Ich wollte nur wissen, wie du dich heute verhalten wirst, nachdem du gestern so verdeckt mit ihr geflirtet hast.“
Ich schluckte, als ich in die Rasmussen Avenue einbog. „Es war wohl nicht ganz so verdeckt, wenn es dir aufgefallen ist.“ Und Frederickson. Und Alex ebenso.
Susan seufzte. Es klang irgendwie verträumt. „Ich denke, was das angeht, bin ich die Spezialistin. Ich habe schon so viele Liebesromane gelesen, dass ich es mittlerweile auf zehn Meilen riechen kann, wenn sich ein Junge in ein Mädchen verliebt.“
„Verliebt?“ An sich hatte ich versucht vorwurfsvoll zu klingen, doch ich scheiterte kläglich. Im Gegenteil, ich klang wohl eher, als hätte man mich auf frischer Tat ertappt, und Susan wurde in ihrer Annahme auch noch bestätigt. Na prima.
„Nur keine Panik. Wie ich vorhin schon sagte, ich kann ein Geheimnis bewahren. Und Liza hat sowieso keine Ahnung davon, was um sie herum passiert. Dafür ist sie viel zu sehr mit Tony beschäftigt. Könntest du hier bitte anhalten? Das gelbe Haus ist meines.“
Ich fuhr rechts ran und wartete, bis sie den Sicherheitsgurt geöffnet hatte. „Sehen wir uns dann heute Abend?“ Als sie den Kopf hob und mich erstaunt anblickte, fügte ich hinzu: „Auf meiner Party? Du kommst doch, nicht wahr?“
Im nächsten Moment wurde mir klar, dass sie mich nur wieder aufzog, so wie heute Nachmittag mit der Sekretärinnen-Sache, denn ihre Augen nahmen diesen verträumten Blick an und sie drückte ihren Rucksack liebevoll an ihre Brust. „Oh Hunter, ich dachte schon du würdest nie fragen!“
Ich rollte mit den Augen und lachte über ihr Getue. Sie ließ mich wie den schrecklichsten Romanzenheld der Geschichte aussehen. Verrücktes Mädel.
Sie stieg aus, schlug die Tür zu und ging zu ihrem Haus.
„Hey, Bücherwurm!“, rief ich ihr nach und wartete, bis sie sich noch einmal zu mir umdrehte. „Willkommen im Team!“
Ihre Augen wurden kleiner, als sie lächelte, und sie schob sich die Brille weiter die Nase hoch. Dann marschierte sie ins Haus, ich trat auf das Gaspedal und fuhr nach Hause.
Den Rest des Nachmittags verbrachte ich damit, das Haus für die Party des Jahrhunderts vorzubereiten. Auf Zu- oder Absagen via SMS musste ich keine Rücksicht nehmen. Jeder, der heute Abend Zeit hatte, würde auch kommen.
Zuerst schaffte ich all die teuren Teppiche aus dem Weg, sodass nur noch der nackte Steinfliesenboden zu sehen war. Von den vielen Regalen und Kommoden räumte ich als Nächstes alle zerbrechlichen Gegenstände weg, unter anderem die geliebte chinesische Ming Vase meiner Mom, die vor der Terrassentür stand. Wenn diese durch irgendwelchen Blödsinn kaputt ginge, würde mich meine Mutter köpfen … ob Sohn oder nicht spielte dann keine Rolle mehr.
Als mein Dad nach Feierabend ins Haus rüber kam, half er mir noch schnell den gläsernen Couchtisch beiseitezuschaffen. Stattdessen platzierten wir eine uralte Truhe vor der Couch, die sich genauso gut zum Abstellen der Getränke oder Schüsseln mit Knabbereien eignete. Zuletzt breiteten wir noch zwei große Decken über die weiße Ledercouch und dann hielten mir meine Eltern die übliche Predigt zum Thema Partyregeln, bevor sie letztendlich ihre Jacken holten und zu Mary Fishers Geburtstagsparty fuhren.
Um kurz vor sieben Uhr sah unser Haus aus, als wäre meine Familie umgezogen und hätte nichts weiter hinterlassen als ein paar vereinzelte Möbel und eine Stereoanlage. Das änderte sich, als die ersten Gäste eintrafen und wieder Leben in die Bude brachten. Jeder konnte sich zu essen und zu trinken nehmen, wonach er Lust hatte. Und während sie bereits Musik auflegten, eilte ich nach oben in mein Zimmer, um mich auch endlich für die Party fertig zu machen.
Ich zog meine Lieblings-Jeans an, die ausgewaschene mit den abgetretenen Nähten, und schlüpfte in hellgraue Tennisschuhe, die ich nach zehn Minuten suchen schließlich unter meinem Bett fand. Mein Haar stylte ich zu einem Beckham-Iro und holte dann ein weißes Hemd aus dem Schrank. Doch sobald ich es anhatte und mich im Spiegel betrachtete, verzog ich unzufrieden das Gesicht und knöpfte es wieder auf. Weiß passte irgendwie nicht richtig zu meinem schwarzen Haar und ich wollte heute unbedingt supercool aussehen. Ein schwarzes Hemd musste her und davon hatte ich Gott sei Dank genug. Ich ließ es lässig über den Hosenbund hängen und rollte die Ärmel bis zu den Ellenbogen hoch. Oh ja, das sah schon viel besser aus.
Gerade als ich in den Flur trat und die Tür hinter mir zuzog, stimmte Bob Marley „Stop That Train“ über die Lautsprecher im unteren Bereich des Hauses an. Bei diesem Lied musste ich schmunzeln, denn ich verband es mit einer ganz besonderen Erinnerung. Wir mussten ungefähr zehn Jahre alt gewesen sein, als Justin eine Zigarre von seinem Großvater gestohlen hatte und wir versucht hatten, diese in unserer Gartenlaube zu rauchen. Die Folgen waren alles andere außer schön. Bereits nach dem zweiten Zug wurden wir beide grün im Gesicht und kotzten in die Rosenbüsche meiner Mutter. Jap, wir waren echt coole Jungs …
Ich fragte mich gerade, ob Justin heute Abend unser DJ war, denn der Song endete schlagartig nach den ersten paar Takten. Als Nächstes kam Sean Paul mit „She Doesn’t Mind.“ Ich mochte dieses Lied.
Mit den Gedanken bereits nur noch bei Liza, stieß ich am Fuße der Treppe mit Claudia Wesley zusammen. Im allerletzten Moment sprang ich zur Seite und wich dem überschwappenden Glas in ihrer Hand aus.
Ihr Gesicht heiterte sich auf, als sie mich sah. „Ry, du kommst sogar zu deiner eigenen Party zu spät? Das sieht dir so ähnlich.“
„Du kennst mich. Ich hab’s noch nie pünktlich auf eine Party geschafft.“ In der zehnten Klasse war ich ein paar Mal mit Claudia aus. Wenn es jemals zwischen mir und einem Mädchen geklappt hatte, dann wohl mit ihr. Das einzige Problem an der Sache war, dass sie eben nicht Liza war. Aber sie machte eine hervorragende Partybowle und das Glas, das sie in der Hand hielt, war vermutlich randvoll mit dem Zeug. Ich nahm ihr den Beerendrink ab und kostete. Dann zog ich eine Braue hoch. „Der Grog haut ja den stärksten Stier um.“
Claudia tat es mit einem Achselzucken ab. „Ja, ist wohl etwas stark geworden. Aber die Erdbeeren darin sind der Wahnsinn.“
Die Bowle schmeckte vorzüglich, doch ich hatte nicht vor, mir heute Abend einen rein zu knallen. Wenn Liza in mein Haus kam, wollte ich nüchtern bleiben oder mich zumindest ausschließlich an Bier halten. Ich reichte Claudia das Glas und machte mich auf den Weg in die Küche.
Gedimmtes Licht und coole Musik verwandelten mein Haus in eine Clubdisco. Es war gerade mal halb acht und der untere Bereich war bereits zum Bersten voll. Mit Ellenbogeneinsatz kämpfte ich mich schließlich bis zum Kühlschrank durch. Ich machte mir ein Bier auf, nahm einen Schluck und wanderte zurück zur feiernden Menge.
Im Mauerbogen zwischen Küche und Eingangshalle rammte mich Tony, der von Chloe hinterher gezogen wurde.
„Hey Leute, wo wollt ihr denn hin?“, fragte ich und schmunzelte über die Art und Weise, wie die beiden Händchen hielten. Tony fuhr echt total auf das Mädel ab. Mmm, dies könnte am Ende mein Glückstag werden.
„Ich möchte Anthony eure Gartenlaube zeigen. Du hast doch nichts dagegen, Hunter?“
Ich schüttelte den Kopf, doch bevor die beiden abhauen konnten, fasste ich Tonys Arm. Ich ließ mich etwas weiter nach vorn und sah ihn ernst an. „Bist du nicht mit Matthews hergekommen?“
„Ja, schon.“
Meine Augen gingen etwas weiter auf, als ich von ihm zu Chloe blickte und wieder zu ihm zurück. „Und sie weiß, dass du mit einer anderen in meinem Garten rumknutschen willst?“
Tony holte tief Luft und seufzte dann. „Nein.“
Ja, das war wohl zu erwarten. „Wo ist sie?“
„Irgendwo da hinten.“ Tony nickte über seine Schulter hinweg in Richtung der Eingangstür. „Eine Freundin hat sie aufgehalten. Hör zu, Hunter. Wir werden nicht lange weg sein. Nur ein paar Minuten, okay? Bitte sag Liza nichts, wenn du sie siehst.“
Ungeduldig pustete Chloe eine blonde Haarsträhne aus ihren Augen, doch ich hatte nicht vor, Mitchell so schnell entkommen zu lassen. „Irgendwann wirst du es ihr sagen müssen.“
„Ich weiß.“ Er zog ein langes Gesicht. „Ich werd’s ihr sagen. Bald. Ich geb dir mein Wort.“
„Na schön. Hau ab“, knurrte ich. „Heute Nacht werde ich dich noch decken. Aber sieh zu, dass du das mit Matthews auf die Reihe kriegst. Ich hasse es zu lügen.“
„Danke, Mann.“
Wir gaben uns gegenseitig einen Fauststoß, bevor die beiden dann durch die Terrassentür nach draußen schlichen. Es wunderte mich, dass er Chloe dazu gebracht hatte, ihre Beziehung fürs Erste noch geheim zu halten. Sie war nicht gerade jemand, der sich gerne bedeckt hielt, und es ging ihr bestimmt auf die Nerven. Andererseits war unsere Gartenlaube der perfekte Ort für ein wenig romantisches Getue und einen heißen Kuss im Mondschein. Sie würde wohl voll auf ihre Kosten kommen.
Frustriert über die Scheiße, die Tony zurzeit in Bezug auf Liza lieferte, kippte ich nach hinten gegen die Wand, wischte mir mit einer Hand übers Gesicht und setzte die Flasche zum Trinken an. Mein Blick streifte dabei über die tanzenden Kids und in diesem Moment zwängte sich Liza aus der Menge. Sie kam langsam in meine Richtung und blickte dabei scheu wie ein junges Reh um sich.
Ihre superkurzen, schwarzen Shorts hatten mir innerhalb einer Millisekunde die Sinne vernebelt. Ich stand bewegungslos da und hielt die Flasche immer noch an meine Lippen, ohne zu trinken. Die kleinen Härchen in meinem Nacken sträubten sich vor Begierde nach Liza. Schließlich gelang es mir doch noch, unter Aufbringung meiner gesamten Willenskraft, mich aus meiner Erstarrung zu befreien. Ich neigte den Kopf nach hinten und nahm einen großen Schluck. Doch abkühlen konnte mich das nicht.
Es dauerte nur einen Moment, bis sich unsere Blicke kreuzten. Ich wandte mich ihr zu, sodass ich nur noch mit einer Schulter an der Wand im Mauerbogen lehnte, und beobachtete sie. Liza fummelte am Saum ihres grauen Tanktops, während ihr Blick kurz zur Seite wich und dann zu mir zurück fand.
Aus jahrelanger Erfahrung wusste ich genau, was ich tat. Da sie nun meine volle Aufmerksamkeit hatte, blieb ihr keine andere Wahl, als zu mir rüber zu kommen und hallo zu sagen. Ich nahm noch einen kleinen Schluck Corona und saugte das Bier zwischen meinen Zähnen hindurch, während ich zusah, wie mein Plan Formen annahm.
Nahe genug, dass sie mir einen exklusiven Blick auf ihren Anhänger gewährte, der verführerisch zwischen ihren Brüsten ruhte, hob sie eine Hand und sagte: „Hallo.“
Ich neigte meinen Kopf und lächelte ein wenig. „Hi.“
„Nettes Haus. So voller …“
Testosteron?
„Leute.“
„Danke.“ Hm, seltsam. Wollte ich das wirklich sagen? Ich stieß mich von der Mauer ab und lehnte mich etwas weiter zu ihr, denn ich hasste es, über die Musik schreien zu müssen. Na schön, hier hinten war die Musik nicht ganz so laut, es war also nicht der einzige Grund. Doch ich konnte einfach nicht widerstehen, den süßen Duft ihres Shampoos einzuatmen. Ihr Haar kitzelte meine Wange, als ich mich noch weiter zu ihr beugte und ihr ins Ohr sagte: „Es wurde auch langsam Zeit, dass Mitchell dich hierher schleppt. Er hat dich lange genug von meinen Partys ferngehalten.“
Ihre Nase tippte leicht gegen die Unterseite meines Kinns und gab mir ein wirklich gutes Gefühl im Bauch. „Weißt du, wo er ist?“
Tut mir leid, Schätzchen, aber das kann ich dir leider nicht verraten. Ich blickte nach unten und alles, was ich wahrnahm, waren ihre perfekt geformten Brüste und eine Taille, die einer Sanduhr glich. Ich umklammerte die Bierflasche etwas fester, um nicht auf dumme Gedanken zu kommen, wie etwa Liza zu packen und fest an mich zu drücken. In Gedanken gehörte sie bereits mir.
„Nein, keine Ahnung“, antwortete ich trocken auf ihre Frage nach Tony und spülte dann den bitteren Nachgeschmack der Lüge mit mehr Corona hinunter.
Liza hatte ihr eigenes Bier in der Hand und trank ebenfalls. Doch sie verzog dabei das Gesicht, als wäre dies das ekelhafteste Gesöff, das ihr jemand hätte anbieten können. Ob sie es wohl von Tony bekommen hatte? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Gerade er würde Liza unter allen Umständen von Alkohol fernhalten wollen. Und recht hatte er. Der Gedanke, dass Liza betrunken auf meiner Party herumlief, gefiel mir ganz und gar nicht. Zumindest hatte ihr niemand Claudias Bowle angeboten. Das Zeug hätte sie umgehauen.
Ich schloss meine Finger um ihr Handgelenk und zog sie aus der Halle in die Küche, um das Bier gegen ein Soda auszutauschen. Es fühlte sich so unglaublich gut an, sie endlich wieder berühren zu können, dass ich es nicht über mich brachte, sie gleich wieder loszulassen. Stattdessen stellte ich meine Flasche ab und öffnete einhändig eine Dose Sprite für Liza. Dann nahm ich ihr das Corona ab und reichte ihr die Limo, wobei ich ihre Finger extra liebevoll um die Dose schloss.
„Du solltest kein Bier trinken“, sagte ich sanft, aber mit ernstem Tonfall. Mein Gott, hoffentlich klang ich nicht gerade wie ihr Vater. „Besonders nicht in diesem Haus.“
Gott sei Dank sah sie nicht aus, als ob sie mir diese Bevormundung übel nahm. Sie wirkte sogar glücklich über die Limo und nahm einen Schluck. Indessen hielt ich immer noch ihre Flasche Bier. Ich lehnte mich gegen den Küchentresen und kreuzte die Knöchel übereinander.
„Du hast dich heute echt gut geschlagen“, versuchte ich das Eis für eine leichtere Unterhaltung zu brechen.
Liza schluckte zwar den Haken, doch offenbar erkannte sie sofort, dass ich nur höflich und nicht ganz ehrlich war. „Ich war furchtbar und das weißt du. Ich verstehe immer noch nicht, warum du mich in die Mannschaft geholt hast.“
Ja, warum nur? Ich zuckte belanglos mit einer Schulter und trank dann aus ihrer Bierflasche. Großer Gott, meine Lippen berührten eben die Stelle, an der vor zwei Minuten noch ihre gehangen hatten. Es mochte vielleicht kindisch sein, doch ich genoss diesen Augenblick wie noch nichts jemals zuvor. Dann bemühte ich mich um eine gelassene Stimme. „Wer weiß? Vielleicht will ich dich da einfach haben.“
Ihre apfelgrünen Augen bekamen diesen extra Schimmer. Ich liebte, wie ich mit diesem kleinen bisschen Wahrheit eine Gänsehaut bei ihr hervorrufen konnte.
„Mach jeden Tag ein wenig Ausdauertraining, dann bist du bald eine Spitzenspielerin.“
„Ich glaube, mir fehlt einfach die nötige Motivation, um Sport zu treiben. Ich bin eine echte Niete, wenn’s ums Laufen geht.“
Ach, ist das so? Tja, was konnten wir nur dagegen unternehmen? „Was du brauchst, ist ein Privattrainer.“
Mit einem überaus süßen Gesichtsausdruck, der verriet, dass sie mich gerade für total übergeschnappt hielt, machte Liza einen kleinen Schritt zurück. „Sag bloß, du willst den Job?“
Deswegen hatte ich es ja vorgeschlagen. Aber ich spielte meine coole Rolle perfekt. „Sicher. Warum nicht? Wenn du versprichst, ein wenig Begeisterung zu zeigen, bin ich dabei.“
Sie neigte ihren Kopf leicht zur Seite und betrachtete mich aus dem Augenwinkel. Ich konnte ihr nicht einmal einen Vorwurf wegen ihres Misstrauens machen. Schließlich lernten wir uns gerade erst richtig kennen. Liza war nicht einfach irgendein Mädchen, das man so schnell wie möglich ins Bett bekommen wollte. Sie war ein Edelstein mit vielen Facetten. Jemand, den man stundenlang ansehen konnte, ohne jemals müde zu werden. Ein Schatz, den ich um jeden Preis für mich gewinnen wollte.
Liza biss sich auf die Unterlippe. Schließlich sagte sie: „Abgemacht.“
Abgemacht? Das war ein verdammtes Ja zu einem Date! Ich fühlte mich wie ein Schnulzenheld aus Susan Millers Liebesromanen, als mein Herz so etwas wie einen Salto in meiner Brust schlug. Ich bemühte mich, cool zu bleiben, und nickte. „Wir beginnen Montagmorgen.“
Ganz plötzlich sah Liza alles andere als glücklich aus. Hoffentlich bereute sie ihre Entscheidung nicht bereits. Selbst wenn, ich würde nicht zulassen, dass sie ihr Wort brach, und machte dies mit einem feurigen Blick in ihre Augen klar. Sie hatte bereits einen Fuß im Spiel, und ich würde alles daran setzen, dass sie dieses nicht als Single verließ. Ich war ein Bay Shark, verdammt nochmal. Ich bekam immer, was ich wollte. Und gerade wollte ich sie.
Plötzlich tauchte jemand hinter Liza auf. „Hey, Ry. Wir spielen eine Runde Pool. Bist du dabei?“
Hau ab, Justin! Am liebsten hätte ich meinen Freund dafür erwürgt, dass er mir diesen Moment mit Liza zerstörte. Ich warf ihm einen düsteren Blick über Lizas Schulter hinweg zu und er wusste sofort was Sache war.
„Tut mir leid, Mann“, formte er mit seinen Lippen und machte dabei ein schuldbewusstes Gesicht.
Ich seufzte und stieß mich vom Tresen ab. Der Zauber war verflogen. Ich konnte nun genauso gut zu meinen Freunden gehen und mit ihnen Pool spielen. Egal, am Montag würde ich mit Liza trainieren. Ich hatte mein halbes Leben auf diese Chance gewartet, was war da schon ein Tag mehr?
„In einer Minute“, sagte ich Justin.
Nachdem er die Fliege gemacht hatte, blickte ich in Lizas hübsches Gesicht. Ich fragte mich, wie wohl ihre süßen Lippen schmecken würden, als ich mit dem Hals der Flasche ihren Wangenknochen entlang strich. Und da war er … der erste verträumte Blick in ihren Augen, der ganz allein mir galt.
„Genieß den Abend“, sagte ich leise. „Und was immer du tust, halt dich fern von den Erdbeeren.“
Es war an der Zeit zu gehen, sonst würde ich noch etwas Dummes anstellen, das meine Pläne, sie langsam zu verführen, durchkreuzen würde. Der Schuss könnte nach hinten losgehen. Nach einem letzten kleinen Lächeln für sie, streifte ich an ihr vorbei, wobei ich nicht widerstehen konnte, ihren Handrücken mit meinem zu streicheln.
Kapitel 5
EINIGE DER JUNGS standen um den Pooltisch, als ich den Raum neben der Partyhalle betrat. Justin spielte gerade gegen Alex. Als er mich sah, richtete er sich auf, lehnte sich auf seinen Queue und sein Gesicht bekam mehr Falten als eine Rosine. „Hey, Kumpel, es tut mir so leid. Das war vorhin echt nicht meine Absicht.“
„Schon okay.“ Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. „Das Date steht für Montag.“
Bei diesen Neuigkeiten hob er beide Augenbrauen und nickte beeindruckt.
Alex, der gerade die gelbe Kugel in einer Seitentasche versenkt hatte, blickte ebenfalls hoch. „Was tut dir leid, Just?“ Er drehte sich zu mir um. „Und welches Date?“
„Ach, nichts Wichtiges“, winkte ich ab und versuchte, das Thema zu wechseln. „Habt ihr Geld im Spiel?“ Ich ließ mich zwischen Frederickson und einem Jungen, dessen richtigen Namen ich nicht kannte, doch den alle Sylvester nannten, auf die Couch fallen.
Alex tippte mit der Spitze seines Queues auf einen kleinen Stapel Dollar auf dem Tischende. „Fünfundzwanzig pro Nase.“
„Nett. Ich spiele gegen den Gewinner.“ Ich brauchte das Geld aus dem Wetteinsatz nicht. Mein Konto war ein Fass ohne Boden, dank zwei liebvoller Großmütter, die mir an Geburtstagen immer etwas zugesteckt hatten. Doch es machte um so viel mehr Spaß, mit den Jungs zu spielen, wenn sie die richtige Motivation vor Augen hatten. Sie spielten dann ausnahmsweise mal nicht wie Mädchen.
Schwer zu sagen, wer von beiden der bessere Spieler war, doch dieses Match gewann Justin, denn Alex lochte die schwarze Acht etwas zu früh ein.
„Fünfzig Dollar sind im Pot“, verkündete Justin und grinste zu mir rüber. „Wenn du einsteigen willst, rück erst die Kohle raus.“
Ich zog meine Brieftasche aus der hinteren Hosentasche und nahm zwei Zwanziger und einen Zehner heraus, die ich dann auf Justins Preisgeld legte. „Ich bin dabei.“
Alex gab mir seinen Queue und während ich die Spitze in Kreide rieb, richtete jemand anderes die Kugeln für uns. Da ich als Letztes zu ihnen gestoßen war, durfte ich den Anstoß machen. Nummer zwölf landete in der hinteren linken Tasche. Somit hatte Justin die vollen und ich die halben Kugeln.
Es war ein schnelles Spiel. In nur vier Runden hatte ich bereits die meisten meiner Kugeln versenkt. Nur die weiß-orange Dreizehn war noch übrig. Mit einem spektakulären Stoß über drei Bande lochte ich sie im hinteren rechten Eck ein. Jetzt fehlte nur noch die schwarze Kugel und der Sieg war mein.
Mein selbstbewusstes Grinsen machte Justin wohl ein wenig nervös. „Komm schon, Ryan! Gib einem Freund eine Chance. Du kannst die Kugel noch nicht versenken.“
Es ließ mich total kalt. „Was ist dein Problem, Justin? Hast du Angst, deine Mutter könnte herausfinden, dass du um Geld spielst?“ Ich lehnte mich über den Tisch, schätzte die Entfernung zwischen Kugel und Loch ab und positionierte meinen Queue für den finalen Stoß.
„Meine Mutter schert sich einen Dreck. Aber ich brauche wirklich unbedingt dieses Spiderman Comicheft. Es ist ein Original“, jammerte Justin.
Schon klar. Wenn es nicht gerade um sein BMX ging oder um irgendeine Kleine, die er gerade wieder an der Angel hatte, gab es für Justin nur eins. Comics. Er hortete sie, wie ein Eichhörnchen seine Nüsse. Ich begriff nicht, wie er so viel Geld für diese Hefte ausgeben konnte, wenn sein Taschengeld für ein Jahr gerade mal so viel war, wie ich in einem Monat bekam.
Mit seinem weinerlichen Getue gelang es ihm, mir ein schlechtes Gewissen zu machen … na ja, fast. Verdammt, hier ging es um die Ehre unter uns Jungs und ich konnte nicht zulassen, dass mein Ruf als bester Spieler in Gefahr geriet, nur um einen Freund glücklich zu machen. Mit achtzehn drehte sich eben alles ums Image.
Ich brachte meinen Queue in eine perfekte Gerade zur weißen und schwarzen Kugel. Dann holte ich leicht aus und sah bereits vor meinem geistigen Auge, wie die Kugel gleich im Loch verschwinden würde. Ich war so knapp daran zu gewinnen. Doch dann beging ich einen schrecklichen Fehler. Ich zögerte einen Moment und blickte hoch.
Mein Körper verkrampfte sich. Für einen unschätzbar langen Moment vergaß ich sogar zu atmen.
Wie konnte sie es wagen, hierher zu kommen und mir dieses Match zu ruinieren? Ah, Gott, wieso musste sie nur so gut aussehen? Es dauerte nur einen Sekundenbruchteil, bis die anderen bemerkten, dass etwas nicht stimmte, und sie drehten sich alle zur Tür, wo mein ganz persönlicher Untergang auf der Schwelle stand.
Liza biss sich verlegen auf die Unterlippe und knetete den Saum ihres Shirts. „Stimmt etwas nicht?“
Gar nichts stimmte mehr. Das war immer so, wenn dieses Mädchen in meiner Nähe aufkreuzte. An dem Tag, an dem ich Liza zum ersten Mal gesehen hatte, war ich über den Fußball gestolpert und mit dem Gesicht voran im Dreck gelandet. Wenn ich sie sah, vergaß ich immer den Rest der Welt um mich. Und heute Abend würde sie mich eine hübsche Summe kosten, wenn sie nicht sofort kehrt machte und mich dieses Match ohne Ablenkung zu Ende spielen ließ.
Aber so viel Glück hatte ich nicht. Justin sorgte bereits dafür. Mit einem breiten Siegeslächeln im Gesicht eilte er an ihre Seite. „Schätzchen, du hast mir gerade das Leben gerettet.“
Liza wirkte etwas scheu, als Justin ihr den Arm um die Schultern legte und sie weiter in den Raum zog, wo das weiche Licht von oben in ihrem Haar spielte.
In diesem Moment wollte ich Justin aus zwei Gründen in den Arsch treten. Erstens, weil er genau wusste, dass ich das Spiel vermasseln würde, wenn Liza mir dabei zusah, und er dies schamlos ausnutze. Und zweitens, weil er es wagte, seinen verdammten Arm um mein Mädchen zu legen. Ich würde ihn für beides später bluten lassen.
„Ah … okay“, stammelte Liza und blickte zwischen uns hin und her. „Und wie das?“
Sie hatte keine Ahnung. Das war eines der Dinge, die ich an ihr am meisten liebte. Sie bemerkte nie, was sich rund um sie – besonders in den Köpfen so vieler Jungs – abspielte. Aber allem voran bemerkte sie nicht, in welchem Schlamassel ich ihretwegen gerade steckte.
„Er kann nicht spielen, wenn ihm jemand zusieht“, posaunte Justin die Wahrheit aus. „Er wird den Stoß total verpatzen.“
Stutzig runzelte sie die Stirn. „Aber ihr seht ihm doch alle zu.“
Die Tatsache, dass sie zwar mit allen anderen Jungs im Raum sprach, aber nur mich dabei ansah, kitzelte ein leichtes Grinsen aus mir heraus.
„Ja schon. Aber wir sind keine Mädchen.“ Das kam von Alex weiter hinten und er amüsierte sich offenbar köstlich. Verräter! Waren denn heute Nacht plötzlich alle gegen mich?
„Es tut mir leid“, krächzte Liza. „Ich werde euch Jungs wohl lieber wieder alleine lassen.“
Aber Justin ließ sie nicht entkommen. „Oh nein, das kommt gar nicht in die Tüte, Schätzchen! Du bist meine Versicherung. Mit deiner Hilfe werde ich das Comicheft doch noch bekommen. Du bleibst!“
Sein Arm um ihre Schultern ging mir mächtig auf die Nerven, auch wenn er sie gerade zum Lächeln gebracht hatte. Und verflucht noch eins, Liza hatte das hübscheste Lächeln in ganz Grover Beach. Sie zog dabei ihre Oberlippe nur leicht zurück und es kamen ihre perfekten, weißen Zähne, die sanft ihre Unterlippe berührten, zum Vorschein. Süße Grübchen bildeten sich in ihren Wagen und ihre Augen wurden ein klein wenig schmaler. Bei diesem Lächeln leckte ich mir über die Unterlippe und träumte davon, Liza zu küssen.
Und weil sie dabei immer noch mich anblickte und niemanden sonst im Raum, konnte ich nicht verhindern, dass plötzlich eine Seite meiner Lippen nach oben wanderte. Ich war in ernsthaften Schwierigkeiten. Liza lenkte mich viel zu sehr ab. Wegen ihr verlor ich meinen Verstand und gleich auch noch dieses dämliche Pool-Match. Mehr noch, sie war der Grund, dass mein Ruf dabei war, den Bach runter zu gehen, ich mir hinterher mit Sicherheit die Sticheleien meiner Freunde anhören musste … und trotzdem war sie noch am Leben. Verdammt, ich war wohl wirklich verliebt in dieses Mädchen.
Ich holte tief Luft, schüttelte den Kopf und beugte mich wieder über den Tisch. Alle waren still und beobachteten mich. Sie warteten nur darauf, dass ich diesen Schuss verbockte. Ich räusperte mich und zögerte in der Hoffnung, dass doch noch ein Wunder geschah und Liza in den nächsten Sekunden das Zimmer verließ.
Doch sie blieb. Und ich konnte nicht aufhören, zu ihr rüber zu sehen. So sehr ich mich auch bemühte, mich auf die Kugeln zu konzentrieren, mein Blick wanderte immer wieder hoch in Lizas Gesicht.
Ach, zur Hölle mit dem Spiel. Ich hatte verloren und daran gab es kein Rütteln mehr. Lachend lehnte ich die Stirn auf die Tischkante zwischen meinen Armen. „Nimm dein Geld, Just. Ich gebe auf.“
Augenblicklich brachen die Jungs in wildem Jubel aus. Nur zu, Freunde, reibt es mir nur kräftig unter die Nase!
Ich stützte meine Hände auf den Pooltisch und ließ den Kopf hängen, während ich ihre Schadenfreude stillschweigend ertrug. Doch als ich ein Auge zur Tür riskierte und Liza immer noch da stand und mich mit ihrem Blick gefangen hielt, wusste ich, dass es das wert gewesen war.
„Es tut mir so leid“, formte sie mit den Lippen.
Wenigstens das. Sie hatte wohl keine Ahnung, dass sie heute Nacht meinen Ruf ruiniert hatte, und auch nicht davon, dass die Jungs mir das noch Jahrzehnte lang unter die Nase reiben würden. Aber ich konnte ihr nicht böse sein. Wie denn auch? Sie war die bezauberndste Ablenkung, die je durch diese Tür gekommen war.
Ich ließ sie nicht aus den Augen und sagte neckisch: „Ich verbanne dich aus diesem Zimmer.“
Liza bewegte sich keinen Zentimeter, als ich langsam um den Tisch herum und auf sie zu ging. Sie drückte sich nur etwas fester gegen die Wand hinter ihr. Ihre Augen wurden größer und ihr Atem kam etwas schneller als sonst. Es sah so aus, als könnte sie sich nicht entscheiden, was sie von mir halten sollte. Schüchterte ich sie ein oder faszinierte ich sie?
Es lagen nur noch wenige Zentimeter zwischen uns. Mit dem Queue in einer Hand, stützte ich mich mit der anderen an der Wand in Augenhöhe neben ihr ab, sodass sie nicht entkommen konnte. „Du hast mich gerade fünfzig Mäuse gekostet.“
„Ja, ich weiß.“ Sie machte ein schuldiges Gesicht. „Aber Justin braucht wirklich unbedingt dieses Comicheft.“ Sie schlug ihre Lider mit den langen Wimpern ein paar Mal auf und nieder.
Zu meiner Schande musste ich gestehen, dass sie sich damit buchstäblich ihren Weg durch meine coole Schale planierte. Ich lachte. „Du verbündest dich also mit dem Feind? Ich hätte es wissen müssen.“ Dann ergriff ich noch einmal die Gelegenheit, sie zu berühren, und legte ihr meine Hand auf den Rücken, nur wenige Zentimeter über ihren Shorts. „Heute Nacht hast du keinen Zutritt mehr zu diesem Zimmer.“ Sanft schob ich sie aus der Tür und genoss dabei jede Sekunde, die meine Hand auf ihrem warmen Körper lag.
„Oh nein, warum?“, neckte sie mich. „Es macht echt Spaß, dir zuzusehen, wenn du … verlierst.“ Ich hätte ihr in die Unterlippe beißen sollen für diesen schamlosen Schmollmund, den sie gerade machte.
Doch ich widerstand der Versuchung an ihr zu knabbern und auch der, mit meinem Daumen über ihre Lippen zu streichen. „Fort mit dir“, befahl ich in einem zärtlichen Tonfall.
Liza gehorchte und ich wusste nicht, ob mich das glücklich oder traurig machen sollte. Sobald sie weg war, schloss ich die Schiebetür aus Holz und presste mich mit dem Rücken dagegen. Da grinste mir eine Horde erstaunter Jungs geradewegs ins Gesicht.
„Kann mir bitte mal jemand verraten, warum ich mein Handy nie parat habe, um solche Situationen zu filmen?“ Chris Donovan machte sich eine neue Flasche Bier auf und prostete in den Raum. „Hunter verbockt ein Spiel wegen Liza Matthews. Unbezahlbar!“
„Mitchell wird dich töten, weil du sein Mädchen stiehlst“, gab Alex amüsiert zu bedenken, während er die Billardkugeln auf dem grünen Filz neu anordnete.
Ich zog die Mundwinkel weit nach oben. „Mitchell braucht davon ja nichts zu wissen. Und außerdem stehle ich Liza ja nicht. Das war nur ein harmloser Flirt. Nichts weiter.“
„Was sie getan hat, war harmlos. Was du getan hast, Mann, war auf den Knien vor ihr zu rutschen und zu betteln, dass du sie flachlegen darfst.“
Ich musste über die Ehrlichkeit und die mögliche Wahrheit, mit der er das sagte, lachen. „Ach, leck mich doch, Winter. Spielen wir jetzt Pool oder was?“
„Du hast gerade spektakulär verloren, Hunter. Ich spiele nicht mit dir.“ Er warf mir einen spöttischen Blick zu und drehte sich dann um. „Frederickson, beweg deinen Arsch von der Couch. Wir beide spielen jetzt.“
Ich stieß Alex gegen die Schulter für diese letzte Bemerkung und er musste sich vor Lachen an der Tischkante festhalten.
Donovan hievte sich auf die Bar, ließ die Beine herunterbaumeln und lehnte sich nach vorn, wobei er seine Ellenbogen auf die Knie stützte. Die fette Silberkette, die er um den Hals trug, fiel aus seinem Kragen und schwang gegen sein Kinn. „Ich wusste gar nicht, dass du was für die kleine Matthews übrig hast.“
Mensch, ich wünschte wir könnten damit aufhören, meine Gefühle zu analysieren, und einfach weiter Pool spielen. „Das habe ich auch nicht gesagt.“
„Stimmt, hast du nicht“, meinte Alex, der sich immer noch nicht eingekriegt hatte vor Lachen. „Dafür hast du ja uns. Und, Alter, es hat dich böse erwischt.“
Als ob ich das nicht selber wüsste. Ich hoffte, wenigstens in Justin, der als Einziger von Anfang an über meine Gefühle für Liza Bescheid gewusst hatte, einen Verbündeten zu finden, doch der saß auf der Couch und machte mir mit einem Achselzucken klar, dass ich da durch und die Jungs ertragen musste.
Frederickson stand auf, schnappte sich meinen Queue und schlug mir kumpelhaft auf die Schulter. „Mein Beileid, Mann. Du hast dir die Falsche ausgesucht. Sie wird dich nicht weiter als einen Meter an sich ran lassen.“
Ich senkte meinen Kopf, rieb mir den Nacken und blickte ihn dann von der Seite aus an, wobei ich mir ein spitzbübisches Grinsen nicht verkneifen konnte. „Wenn ich mich nicht irre, war ich vor nicht einmal zwei Minuten bereits sehr viel näher an ihr dran.“
„Ooh!“ Ein kollektiver Spott ging durch den Raum. Ich hasste es, wenn sich die Jungs benahmen, wie ein paar wilde Hühner auf einer Jungesellinnen-Party. Aber mit siebzehn war so ziemlich alles es wert, einen kompletten Volltrottel aus sich selbst zu machen. Ich würde vermutlich an vorderster Spitze mit dabei sein, wenn nicht ich heute Nacht die Zielscheibe abgeben würde.
Ich ließ mich auf die Couch fallen, lehnte meinen Kopf zurück und rieb mir die Hände übers Gesicht. „Haltet die Klappe, ihr Schwachköpfe!“
Alex schüttelte amüsiert den Kopf bevor er zum ersten Stoß ansetzte, und einen Augenblick später sämtliche Kugeln in alle Richtungen schossen. Keine rollte ins Loch. Alex pflanzte sich neben mich und wartete bis Frederickson mit seinem Zug fertig war. Die Beine ausgestreckt und die Knöchel überkreuzt, verschränkte er die Finger hinter seinem Nacken und drehte seinen Kopf zu mir. „Jetzt mal ernsthaft. Denkst du wirklich, du kannst bei der Kleinen landen? Für mich sieht die Sache aus, als wäre sie glücklich damit auf ewig Mitchells Groupie zu sein.“
Zum jetzigen Zeitpunkt war ich mir noch nicht ganz sicher, ob Entschlossenheit und Charme alleine ausreichten, um Lizas Meinung zu ändern. Doch ich war mehr als bereit dazu, um sie zu kämpfen. Nach allem, was heute passiert war, schien sie zumindest nicht völlig immun gegen meine Anziehungskraft zu sein. Vielleicht lag das Problem ja einfach nur darin, dass sie bisher noch keine alternative Zukunft für sich in Betracht gezogen hatte, außer eine, in der sie Mitchells Ring an ihrem Finger trug. Es gab für sie so viele Möglichkeiten, wenn sie diese nur nicht von vorneherein abblocken würde. Und Scheiße nochmal, ich war definitiv eine dieser Möglichkeiten!
„Das kommt daher, weil sie nicht weiß, was sie verpasst, solange sie hinter Mitchell herläuft“, gab ich Alex als Antwort.
„Dann hast du also vor, es ihr zu zeigen?“
„Ja, Hunter ist genau der richtige Mann dafür“, unterstützte mich Chris mit einem schelmischen Augenbrauen-Wackeln. „Ich wette, er kriegt sie in sein Bett, noch bevor die Woche zu Ende ist.“
Frederickson stützte sein Kinn auf den Queue. „Ich setzte zwanzig Dollar, dass sie sich in dieser Zeit nicht einmal von ihm küssen lässt.“
„Jungs! Jungs!“, rief ich und machte ein ernstes Gesicht. „Denkt nicht einmal daran, Geld auf den ersten Kuss oder sonst etwas zu setzen. Matthews ist nicht eines der Mädchen, mit denen du rummachst, nur um eine Wette zu gewinnen. Erstens ist sie die Freundin eines guten Freundes. Und zweitens …“ Ich zog langsam einen Mundwinkel hoch. „Hätte ich ein schlechtes Gefühl dabei, wenn du wegen mir dein Geld verlierst, Frederickson.“
Die Jungs fingen an zu johlen und zu pfeifen und alle wünschten mir Glück. Ich hatte es sicherlich nötig, wenn ich bei Liza punkten wollte.
Ein paar Minuten verstrichen, bevor sich alle soweit beruhigt hatten, dass wir weiter Pool spielen konnten – ohne Ablenkungen. Nachdem wir aber die Minibar bis auf das Tonic leergeräumt hatten, machte ich mich auf in die Küche. „Ich hol mir ein Bier. Will noch jemand eins?“
Alex nickte und Justin bestellte ein Soda.
Als ich kurz darauf in die Küche spazierte und sah, was sich hier gerade abspielte, blieb ich wie angewurzelt im Mauerbogen stehen. Meine Hände ballten sich zu Fäusten und ich knirschte mit den Zähnen.
Liza saß auf der Kochinsel und Mitchell stand zwischen ihren baumelnden Beinen. Auf den ersten Blick dachte ich, sie würden sich küssen. Das versetzte mir einen so starken Stich ins Herz, dass ich mich fragte, warum denn niemand einen Krankenwagen rief, wenn ich doch offensichtlich gerade einen Herzinfarkt erlitt. Bis ich dann auch Chloe bemerkte, die mies gelaunt neben den beiden stand.
Liza hatte offenbar Probleme sich aufrecht zu halten. Ich hatte ihr doch eine Sprite gegeben. Warum zum Teufel war sie jetzt betrunken?
Chloe zog Mitchell am Arm, aber er sah nicht aus, als hätte er vor, Liza jetzt allein zu lassen. „Anthony, du hast versprochen mit mir zu tanzen“, nervte sie.
Und dann musste ich trotz meines Ärgers lachen als Liza Chloe wie ein Kleinkind nachäffte: „Anthony, du hast versprochen, mit mir zu tanzen.“
Es reichte aus, um Chloe komplett die Laune zu verderben. „Was ist denn mit der los?“
„Sie hat etwas zu viel Bowle intus“, erklärte Tony besänftigend. „Ich bin gleich bei dir.“
Ich wollte gerade zu ihnen gehen und Mitchell sagen, er sollte mit Summers verschwinden; ich würde mich um Liza kümmern. In ihrem Zustand sollte sie sich nicht mit Chloe und dem Scheiß, den die beiden immer noch vor ihr geheim hielten, herumschlagen müssen. Aber im selben Moment kippte Lizas Kopf nach vorne auf Mitchells Schulter.
„Ich bin so müde. Können wir jetzt nach Hause fahren?“, quengelte sie.
Chloe machte einen Schritt zurück und verschränkte ihre Arme vor der Brust, die jeden Moment aus ihrem hautengen, schwarzen Kleid zu platzen drohte. „Komm schon, Anthony. Du willst doch jetzt noch nicht wirklich gehen? Es ist erst elf. Bring sie nach oben in eines der Gästezimmer. Sie kann dort schlafen.“
Bloß nicht!
„Und dich nicht weiter stören, ja?“, kam das Gemurmel von Liza, die gerade dabei war, gegen Tony gelehnt einzuschlafen.
Ich hatte keine Lust auf das Drama, das sich hier zusammenbraute, also ging ich rüber zu Tony und warnte: „Das würde ich an deiner Stelle nicht tun, Mitchell. In ihrem Zustand ist sie in keinem der Gästezimmer sicher. Du weißt, wie es auf diesen Partys zugeht, je später es wird.“ Also, welche Alternative hatten wir? „Bring sie in mein Zimmer.“
„Was?“, riefen Liza und Tony wie aus einem Mund. Liza saß plötzlich kerzengerade da mit weit aufgerissenen Augen. Soviel zum Thema, ich würde Liza noch vor Ende der Woche in mein Bett bekommen …
„Macht euch nicht lächerlich.“ Ich rollte mit den Augen, so als ob nur die Idee, ich könnte in irgendeiner Weise etwas mit Liza anfangen, total absurd wäre. Wenn sie die Wahrheit wüssten, würde Tony mir kein Stück mehr vertrauen. „Sie ist lange wach und aus dem Haus, bevor ich überhaupt nach oben komme.“ Leider war das die Wahrheit.
Da Liza beschwipst war, lag es an Tony, für sie eine Entscheidung zu treffen. Immerhin war er ihr bester Freund und deshalb auch für sie verantwortlich … irgendwie. Er zögerte.
„Verdammt, jetzt mach schon, was er sagt, Anthony. Und beeil dich!“, drängte ihn Chloe.
Als Tony seine Lippen zusammenpresste, dachte ich schon, er würde niemals einwilligen. Doch dann sagte er: „Komm, Liz“, und zog sie vom Tresen. Einen Arm um ihre Taille gelegt, begleitete er sie zur Tür.
Nach drei Schritten, taumelte Liza zur Seite, knallte gegen den Kühlschrank und stolperte rückwärts. „Verzeihen Sie bitte!“, sagte sie, als wäre der Kühlschrank gerade zum Leben erwacht.
Sie war kurz davor, gegen den Tresen zu laufen, da schlang ich meinen Arm um sie und drückte sie fest an mich. „Sagte ich nicht, du sollst dich von den Erdbeeren fernhalten?“, brummte ich ihr ins Ohr und wurde sofort high von ihrem lieblichen Duft.
„Erdbeeren? Da war eine in meinem letzten Glas Traubensoda.“ Liza grinste albern. „Mmh, die war lecker.“
„Lecker, alles klar.“ Ich lachte und hob sie hoch. Oh Mann! Hätte ich gewusst, dass dies das Paradies war, dann hätte ich mit Sicherheit versucht, ein netterer Mensch zu sein. Liza war leicht und fühlte sich zart und weich an. Ihre Körperwärme drang durch mein Shirt und verursachte ein Prickeln auf meiner Haut. Meine Hände lagen plötzlich an Stellen, von denen ich vor zwei Tagen noch nicht einmal zu träumen gewagt hatte, und ich verspürte ein Verlangen nach ihr, das mich schwindlig werden ließ.
„Ich bring sie in mein Zimmer, Mitchell. Du kannst sie mitnehmen, wenn du gehst. Oder komm morgen Früh zurück und hol sie.“ Oder … bleib einfach weg und lass Liza bei mir.
„Bist du sicher?“ Oh ja, er traute mir kein bisschen.
„Ich bin sicher. Jetzt hau schon ab und tanz mit Chloe, sonst nervt sie mich als Nächstes.“
Er blickte zu Chloe, die gerade ein rundum glückliches Strahlen im Gesicht hatte. Na, wer sagt’s denn? Die Schlacht war gewonnen. Mitchell vertraute mir Liza an.
Wäre sie meine beste Freundin gewesen, hätte ich es nicht getan.
Ich kostete jede Sekunde aus, die ich Liza in meinen Armen hielt, während ich sie die Treppe hinauf trug. Sie schlang ihre Arme um meinen Hals und plötzlich lehnte ihr Kopf an meiner Schulter. Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen und biss die Zähne aufeinander. Ich musste cool bleiben … aber das war alles andere als leicht.
„Du willst nicht mit Chloe tanzen?“, murmelte Liza in mein Shirt.
Ich drückte meine Wange sanft gegen ihre Stirn. „Würdest du?“
„Ich würde gar nichts mit ihr tun. Ich kann sie nicht ausstehen.“
So viel war klar. „Und ich weiß genau warum.“
„Wirklich?“
Ich wollte ihr sagen, dass so ziemlich jeder von uns wusste, wie sehr sie in Tony verknallt war, doch sie lenkte mich von diesem Gedanken ab, als ihre Nasenspitze meinen Hals kitzelte und sie tief einatmete.
„Du riechst gut“, sagte sie mir in ihrem süßen Schwips. Ohne die Erdbeeren hätte ich diese Worte heute bestimmt nicht zu hören bekommen.
Es machte mich glücklich und brachte mich zum Lachen. Nur zu gern hätte ich sie in eine Unterhaltung verwickelt, in der sie mir all die anderen Dinge nennen konnte, die sie an mir mochte. Doch ich wusste, es war falsch, und sie würde mich morgen vermutlich dafür hassen. Falls sie sich dann überhaupt noch daran erinnern konnte.
„Zeit fürs Bett, Matthews“, flüsterte ich.
Die Tür zu öffnen, ohne Liza dabei fallen zu lassen, war gar nicht so einfach, doch gelang es mir mit meinem Ellenbogen die Türklinke herunter zu drücken, die Tür mit der Schulter aufzustoßen und Liza in mein Zimmer zu tragen. Bevor ich sie in mein Bett legte, drückte ich sie noch einmal sanft an mich, in der Hoffnung, dass, was auch immer zwischen uns geschehen würde, ich mich auf ewig an diesen Moment erinnern könnte.
Einen Augenblick später setzte ich sie vorsichtig ab. Sie kuschelte sich in mein Kissen und atmete ein paar Mal tief ein, so als ob sie nicht genug von dem Geruch an ihm bekommen könnte. Ich sah ihr schmunzelnd dabei zu, dann zog ich ihr die Schuhe aus, deckte sie zu und hockte mich auf Augenhöhe vor sie hin. „Alles okay?“
Ihre Augen waren geschlossen, aber sie verzog das Gesicht zu einer weinerlichen Grimasse. „Ich weiß nicht. Kannst du bitte nachsehen, ob da Rotorblätter aus meinem Kopf wachsen?“
Ich strich über ihr langes, seidig glattes Haar und streifte ihr die Stirnfransen aus dem Gesicht. „Keine Rotorblätter, Baby“, flüsterte ich so leise, dass sie es nicht hören konnte. Etwas lauter sagte ich: „Das wird besser, sobald du einschläfst. Falls du etwas brauchst, der Lichtschalter ist gleich vor deiner Nase und das Badezimmer ist links, die nächste Tür.“
Weder antwortete sie noch bewegte sie sich. Ich fürchtete schon, dass sie eingeschlafen war, ohne die wichtigste Information gehört zu haben, wenn jemand betrunken und ihm speiübel war. So gern ich dieses Mädchen auch hatte, ich zog es vor, dass sie sich nicht in meinem Bett übergab. „Hast du mich verstanden?“
Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem angestrengten Grinsen. „Licht, Nase. Klo, links. Hab verstanden.“ Sie gab mir sogar ein Daumen-hoch, was mich ein wenig beruhigte.
Ich erhob mich, doch gerade als ich zur Tür gehen wollte, sagte sie leise meinen Namen. „Hunter?“
Ich hockte mich noch einmal hin und lehnte meine Arme vor ihr auf das Kissen. „Hm?“
Sie seufzte tief. „Das mit dem verlorenen Pool-Spiel tut mir leid.“
Ich weiß, dass es dir leidtut. Aber mir nicht. Die Art und Weise, wie sich unsere Blicke über dem Pooltisch hinweg ineinander verfangen hatten, war etwas ganz Besonderes gewesen. Viel zu feurig für einen harmlosen Flirt. Ich ließ meinen Blick durchs Zimmer schweifen, über all die vertrauten Dinge in diesem Raum. Dann blickte ich Liza an, das Einzige, das hier völlig fremd war. Sie machte für mich alles komplett.
Sanft, um sie nicht zu wecken, strich ich mit meinen Fingerknöcheln über ihre Wange. „Schlaf gut, Prinzessin.“
Kapitel 6
MEINE GEDANKEN SCHWEIFTEN permanent zurück zu meinem Zimmer und dem einen Mädchen, das in meinem Bett lag, als ich die Treppen runter schlenderte, um wieder an der Party teilzunehmen. Wenn ich doch nur alle Gäste rausschmeißen könnte, gleich jetzt. Nichts würde mich dann davon abhalten, nach oben zu gehen und Liza beim Schlafen zu beobachten. Natürlich würde ich ihren betrunkenen Zustand nicht ausnutzen. Ich würde keine dämlichen Tricks bei ihr versuchen. Alles, was ich wollte, war vor dem Bett zu knien, so wie gerade eben, und in ihr hübsches Gesicht zu sehen.
Andererseits hatte ich schon so viel aus dem heutigen Abend mit ihr gewonnen. Wir hatten miteinander geflirtet und sie hatte mich umarmt, als ich sie nach oben getragen hatte. Sie hatte mir sogar gesagt, dass ich gut dufte. Heute Nacht war ich ein echter Glückspilz.
Als ich zurück in das Poolzimmer kam, ohne Drinks, wollten die Jungs sofort wissen, wo ich denn so lange gesteckt hatte. Ich erklärte ihnen, dass ich mich um einen betrunkenen Gast kümmern musste. Allerdings verriet ich ihnen nicht, um wen es sich dabei handelte, noch, wohin ich sie gebracht hatte. Mit Ausnahme von Justin. Ich erzählte ihm die ganze Geschichte, als wir beide ein wenig später allein vor dem Haus standen um frische Luft zu schnappen und den Kopf nach zwei weiteren Flaschen Bier wieder klar zu bekommen.
Da kam auch Tony zur Tür raus und er hatte Chloe im Arm. „Das war eine coole Party“, sagte er zu mir. „Wir hauen jetzt ab. Denkst du, ich sollte Liza mitnehmen?“
„Nein, lass sie schlafen. Es geht ihr gut da oben. Außerdem denke ich nicht, dass ihr eine Autofahrt in diesem Zustand gefallen würde.“
Mitchell nickte und Chloe sah überaus erleichtert aus über die Entscheidung, Liza zurückzulassen. Und ich war es auch. Als die beiden weg waren, stieß Justin mit mir an und präsentierte ein breites Grinsen, das so typisch für die Andrews Jungs war. „Sieht aus, als wäre heute dein Glückstag. Warum bist nicht oben?“
Ich nahm einen Schluck von meiner Flasche und fragte mich dasselbe. „Weil ich ein Gentleman bin.“
Darüber konnte Justin nur lachen. Ich trank unterdessen den Rest meines Biers in einem Zug. Um die Wahrheit zu sagen, war ich wohl eine totale Flasche. Und ich hätte mich dafür ohrfeigen können, dass ich lieber hier unten abhing, als oben bei Liza zu sein.
Die Party dauerte noch etwa zwei Stunden, war aber dann schlagartig zu Ende, als Veronica Malloy auf den Boden in der Halle kotzte. Ihre Freundinnen halfen mir, die Sauerei wegzuputzen – oder vielleicht machten sie auch die ganze Arbeit, denn zu diesem Zeitpunkt konnte ich mich kaum noch gerade halten. Bier in Kombination mit Claudias Bowle war eine ganz üble Sache. Obwohl die Erdbeeren ja fantastisch geschmeckt hatten.
Nachdem alle gegangen waren, schleppte ich mich die Treppen hoch in mein Zimmer. Ich kümmerte mich nicht darum leise zu sein und warf die Tür hinter mir zu. Meine Eltern waren sowieso noch nicht zurück. Ich war ganz allein in diesem großen, dunklen Haus. Oder vielleicht nicht ganz. Üblicherweise blieben immer ein oder zwei Freunde zurück, die ich dann am nächsten Morgen im Wohnzimmer von der Couch oder auch schon mal vom Pooltisch sammeln musste.
Meine Ohren läuteten in der Stille immer noch von der lauten Musik und mein Kopf fühlte sich an, als wäre jemand mit dem Laster darüber gerollt.
„Hunter?“
Ach du heilige Scheiße, ich bekam vielleicht einen Schreck. Da war jemand in meinem Zimmer. Die Stimme klang vertraut. Wenn mein Schädel nicht so furchtbar gedröhnt hätte, würde mir vermutlich sogar einfallen, zu wem sie gehörte. Im Moment versuchte ich das Mädchen, das auf meinem Bett saß, in der Dunkelheit zu erkennen.
Liza? Erinnerungen kehrten vage zurück. Gute Erinnerungen.
„Du bist immer noch hier?“, lallte ich und konnte mein Glück kaum fassen. Ich knöpfte mein Hemd auf, kickte meine Schuhe in die Ecke und schleuderte das Shirt hinterher.
„Wo genau ist hier? Und warum ziehst du dich aus?“ Liza klang gar nicht gut. Sie rieb sich die Schläfen mit beiden Händen.
Hallo? „Das ist mein Zimmer. Und das Teil, auf dem du liegst, ist mein Bett. Da ich normalerweise nicht in meinen Sachen schlafe, dachte ich, ich ziehe sie einfach mal aus.“
„Ist die Party vorbei?“
Ich setzte ein verschmitztes Lächeln auf. Oh nein, Baby. Die Party beginnt jetzt. Doch dann schoss es mir ein, dass sie vermutlich die Party im unteren Stock meinte, und ich ließ die Schultern hängen. „Jemand hat auf den Boden gekotzt. Jep, die Party ist vorbei.“ Hier stand ich nun und verfluchte mich dafür, dass ich heute Nacht so viel getrunken hatte. Ich hätte nüchtern bleiben sollen, damit ich diesen Moment genießen konnte, ohne dass eine U-Bahn durch meinen Schädel donnerte. „Ich schwöre, wenn Claudia nächstes Mal wieder ihre Erdbeerbowle mitbringt, trete ich zum allerersten Mal einem Mädchen in den Arsch. Harmlos, was für ein Blödsinn.“
Liza stöhnte. „Wie spät ist es?“
„Drei.“
„Drei Uhr morgens?“
Kein Grund hysterisch zu werden! „Es ist dunkel draußen. Natürlich ist es drei Uhr morgens.“
Im nächsten Moment war sie aus meinem Bett gesprungen, kniete auf dem Boden und tappte im Dunkeln herum. Es ging so schnell, ich konnte nur wie angewurzelt stehen bleiben und ihr dabei zusehen.
„Wo sind meine Schuhe?“, krächzte sie.
Wozu brauchte sie jetzt ihre Schuhe? Ich wollte ihr sagen, dass sie sofort wieder zurück in mein Bett kriechen und sich an mich kuscheln sollte, so wie sie es getan hatte, als ich sie vor ein paar Stunden hier herauf getragen hatte. Leider sah sie nicht so aus, als würde sie das ebenfalls wollen, als sie einen Moment später vom Boden aufstand.
„Was hast du vor?“
„Ich gehe nach Hause!“
„Oh-wow.“ Das konnte ich nicht zulassen. Ich musste irgendetwas unternehmen, um sie daran zu hindern mich jetzt alleine zu lassen. Wir waren noch nicht fertig miteinander. Ich wollte doch noch kuscheln, verdammt noch mal! Komm schon, Hunter. Mach schnell und überleg dir was. Doch während Nachdenken an sich schon schwer genug war, war eine rasche Lösung zu finden geradezu unmöglich. Für den Anfang legte ich ihr erst mal meine Hände auf die Schultern und drückte sie sanft zurück aufs Bett.
„Keine gute Idee“, sagte ich. „Da wir uns bereits einig sind, dass es mitten in der Nacht ist … und du betrunken bist—“
„Betrunken? Nein!“
Ah, schon klar. Sie befand sich gerade in der Verleugnungsphase, was völlig okay war, denn ich war schon lange über dieses Stadium hinaus und wusste, was gerade Sache war. „Wie auch immer. Das kann ich nicht zulassen.“
„Was?“
Ja, was noch gleich? „Dass du alleine heimgehst.“
Ihre Augenbrauen formten ein tiefes V. „Du willst mitkommen?“
Zum Teufel, ja! Aber nicht heute Nacht. Sie würde mich nur wieder heimschicken und meine Glückssträhne wäre damit zu Ende. Ich setzte mich also neben sie und versuchte mich auf ihre Augen zu konzentrieren, die wunderhübsch im Mondlicht, das durch das Fenster fiel, schimmerten. „Es sind eineinhalb Meilen bis zu deinem Haus. Das bedeutet, drei Meilen Fußmarsch für mich. Ich bin ziemlich sicher, dass ich das heute Nacht nicht mehr schaffe. Also wenn du unbedingt nach Hause willst, muss ich dich fahren. Und das würde ich heute Nacht lieber vermeiden.“ Ich war vielleicht betrunken, aber ich war Gott sein Dank kein Vollidiot.
„Und was mache ich jetzt?“ Sie sah so überaus hilflos und niedlich aus.
„Ich würde sagen, leg dich hin. Schlaf. Und morgen finden wir eine Lösung.“
„Was ist mit dir?“
Ich werde mich hinlegen, nicht schlafen und dich dafür den Rest der Nacht einfach nur anstarren. Sofern sie mich überhaupt bei sich im Bett liegen ließ. Aber wie konnte ich sie nur dazu überreden? „Der Boden ist hart. Und ich bin zerschlagen. Das Bett ist groß genug für zwei …?“
Sie sah mich für einen Moment lang unsicher an, dann ließ sie sich plötzlich zurück in das Kissen fallen und sagte kein Wort. Entweder war sie einfach nur müde oder ihr wurde gerade übel. Wie auch immer, sie hatte mich nicht gebeten auf dem Boden zu schlafen, was meine Laune beträchtlich hob. „Definitiv die richtige Entscheidung, Matthews“, murmelte ich und legte mich sachte neben sie hin.
In diesem Augenblick nahm ich jeden Zentimeter von ihr wahr, der mich berührte. Ihre linke Hand war zu einer Faust unter ihrem Kinn geballt und drückte gegen meine Schulter, unsere Beine waren von der Hüfte bis zum Knöchel aneinander gepresst, und wenn ich meinen Arm nur ein wenig weiter nach links rutschte, dann würde ich ihre Hand halten.
Grundgütiger! Es wäre so einfach, mich auf sie zu rollen und die heutige Nacht zu etwas ganz Besonderem zu machen.
Viel zu verlockend.
Ich atmete tief durch und fragte mich, ob sie auch nur die geringste Ahnung davon hatte, wie viel Beherrschung es einen Achtzehnjährigen kostete, so viel Testosteron unter Kontrolle zu halten. Aber es gelang mir … für den Moment. Und nur aus dem einen Grund, weil ich völlig bei Sinnen sein wollte, wenn ich Liza Matthews küssen würde.
Ich drehte mich zur Seite und ließ sie durch ein verspieltes Lächeln wissen, was genau mir gerade eben durch den Kopf ging. „Ich verspreche, in den nächsten drei bis sechs Stunden bist du vor mir sicher“, sagte ich, doch es klang eher wie ein leidenschaftliches Knurren. „Danach kann ich allerdings für nichts garantieren.“
Ich war mir nicht sicher, ob sie sich überhaupt bewusst war, dass gerade ein kleines Lächeln ihre Lippen umspielte. Sie blickte mir noch ein paar Sekunden lang tief in die Augen, dann fielen ihre Lider zu und sie schlief ein.
Schwer zu sagen, wie lange ich sie in dieser Nacht im Dunkeln noch betrachtete. Ich verlor jeglichen Sinn für Zeit. Aber als ich meine Augen auch endlich schloss, wusste ich genau, dass jedes kleine Detail ihres bildhübschen Gesichts für immer in meiner Erinnerung bleiben würde. Die drei Sommersprossen auf ihrer Nasenspitze; die Tatsache, dass der rechte Bogen ihrer Oberlippe eine Spur höher war als der linke; ihre langen Wimpern, die sanft auf ihrem Wangenknochen lagen, wenn sie die Augen geschlossen hatte. Sie duftete wie die Rosen in unserem Garten und ihr Haar war weich wie karibischer Sand, der durch meine Finger floss.
Als ich einschlief, hatte ich nur einen Gedanken. Dieses Mädchen gehörte zu mir. Sie wusste es nur noch nicht.
*
Das Nächste, woran ich mich erinnern konnte, war, dass ich auf dem Rücken lag, vermutlich in meinem Bett, und jemand starrte mich an. Ich hatte den Arm über meine Augen gelegt und konnte nichts sehen, doch ich fühlte den Blick auf mir durch und durch. Es war zwar schon ziemlich lange her, doch dies war nicht das erste Mal, dass ich neben einem Mädchen in meinem Zimmer aufwachte. Nur dieses Mal konnte ich mich beim besten Willen nicht daran erinnern, was letzte Nacht hier drin abgegangen war … und mit wem.
Ich hatte ein seltsames Gefühl, zumal wir auch, soweit ich das beurteilen konnte, eine ziemlich eng umschlungene Position im Schlaf angenommen hatten.
„Ich kann spüren, wie du mich beobachtest“, sagte ich ohne mich zur Seite zu drehen, oder auch nur den Arm vom Gesicht zu nehmen. Die warme Hand, die auf meiner Brust lag, zuckte zurück. „Ich hoffe nur, du bist ein Mädchen und nicht einer der betrunkenen Jungs.“ Ich griff nach unten, zu dem Bein, das über meine Hüfte geschlungen war. Wow, was ich zu spüren bekam, war nackte Haut … samtweich. „Definitiv weiblich“, stellte ich fest.
Es wäre interessant, wie viel mehr nackte Haut ich finden würde, wenn ich meine Hand etwas weiter nach oben bewegte. Unglücklicherweise kam ich nicht sehr weit. Das Mädchen neben mir packte meine Hand und hielt sie fest, da wo sie war.
„Einen Zentimeter weiter und du bist ein toter Mann, Hunter.“
Okay, könnte mich bitte mal jemand kneifen, nur um sicherzustellen, dass ich nicht träume? Ich konnte mir nichts Schöneres vorstellen, als mit dieser lieblichen Stimme geweckt zu werden. Doch sie wirkte in meinem Zimmer total unrealistisch, besonders neben meinem Ohr, während ich in meinem Bett lag.
Ich schmunzelte. „Matthews?“
Oh welch wundervoller Morgen. So viel zum Thema, ich würde Liza nicht bis zum Ende der Woche in mein Bett bekommen.
Sie antwortete nicht. Doch das musste sie auch nicht. Ich wusste ohnehin, dass sie es war. Erkannte sie an ihrem süßen Duft. Sie hielt immer noch meine Hand auf ihrem Schenkel fest und es machte nicht den Anschein, als würde sie mich in Kürze loslassen.
Es war an der Zeit, die Augen zu öffnen und einen Blick zu riskieren, was ich letzte Nacht angestellt hatte. Ich ließ meinen Arm auf das Kissen fallen und drehte meinen Kopf zur Seite. In dem Bruchteil einer Sekunde, nahm ich wahr, dass sie noch all ihre Kleider trug, obwohl ich anscheinend im Moment nur meine Jeans anhatte und sonst nichts. Ich konnte wohl davon ausgehen, dass ich ihr nicht ihre Unschuld geraubt hatte, worüber ich überaus dankbar war, denn ich konnte mich an rein gar nichts mehr erinnern.
Das bedeutete aber noch lange nicht, dass sie so abweisend sein musste. „Sag schon, Matthews. Warum liegst du in meinem Bett, wenn ich dich nicht anfassen darf?“
Sie blickte mir entsetzt in die Augen, dann machte sie eine Grimasse. „Ich wusste nicht, dass Erdbeeren in der Limo waren.“
Aha, und das bedeutete was? „Nochmal bitte?“
„Jemand hat mir den ganzen Abend lang Traubensaft gebracht.“ Ihre Stimme klang alles andere als selbstsicher und ihr Blick schweifte ständig nach unten zu meiner Hand auf ihrem Oberschenkel. „Ich hatte keine Ahnung, dass du die Bowle meintest, als du mich gewarnt hast …“
„… dich von den Erdbeeren fernzuhalten.“ Au Backe, jetzt erinnerte ich mich wieder. Claudias Bowle war dafür verantwortlich, dass Liza in meinem Bett lag und ihr Bein verführerisch um mich geschlungen hatte. Leider war sie auch der Grund, warum ich mich an so Vieles nicht mehr erinnern konnte. „Verdammt, und ich hab Claudia noch gesagt, das Zeug nicht zu sehr zu panschen.“ Ich suchte nach einem Anzeichen in Lizas Gesicht, dass ich mir Sorgen machen musste, was geschehen war. „Tut mir leid, aber ich kann mich nur noch vage daran erinnern, was passiert ist, nachdem ich dich gestern Nacht hier rauf getragen habe. Bin ich in Schwierigkeiten?“
„Soweit ich mich erinnere, warst du selbst ziemlich betrunken. Also war ich einigermaßen sicher vor dir.“
Ja, das war sie. Aber jetzt hatte ich wieder einen klaren Kopf und so wie sie halb auf mir drauf lag, kamen mir ein paar ziemlich verlockende, möglicherweise nicht ganz jugendfreie Ideen in den Sinn. Ihre zarte Haut verleitete mich sie zu streicheln und ich begann, kleine Kreise mit meinem Daumen auf ihren Schenkel zu ziehen. „Ich fürchte, meine gleichgültige Phase ist vorbei. Und wenn du nicht in Schwierigkeiten geraten willst, schlage ich vor, du nimmst dein Bein von meiner Hüfte.“
Ihre Augen wurden plötzlich weit und sie war wohl um eine Antwort verlegen.
„Was ist?“ Ich lächelte verschmitzt. „Du weißt, dass du nicht gerade das hässlichste Mädchen der Welt bist.“
Das war wohl die falsche Art, Liza ein Kompliment zu machen, denn im nächsten Moment drückte sie mein aufgestelltes Bein, mit welchem ich ihres in der Falle hatte, nach unten und kroch aus meinem Bett.
Sie musste verrückt sein so aufzuspringen – oder vielleicht kannte sie auch einfach nicht die Folgen einer alkoholreichen Nacht – aber für mich war klar, dass ihr in zwei Sekunden schwarz vor Augen werden würde, und ich wollte nicht, dass sie in meinem Zimmer ohnmächtig wurde. Ich stand ebenfalls auf und stützte ihre Ellenbogen, noch bevor sie eine Chance hatte umzukippen.
Es dauerte einen Moment, bis sie zu mir hoch blickte.
„Besser?“, fragte ich.
„Nicht wirklich.“ Sie befreite sich aus meinem Halt und schnappte sich ihre Schuhe vom Bettende, wo ich sie, wenn ich mich richtig erinnerte, gestern Nacht hingestellt hatte.
Ich wartete, bis sie die Sneakers angezogen hatte, und ging dann nach unten. Liza ging hinter mir her. Der Steinfliesenboden fühlte sich kalt auf meinen Fußsohlen an. Gut, das hatte ich nötig, um mein brodelndes Blut abzukühlen.
„Hey Ry!“, rief jemand aus der Halle, als wir nach unten kamen.
„Hi Chris“, antwortete ich und fand ihn ausgestreckt auf dem Sofa lungern. Sein Blick, als ihm klar wurde, wen ich grade im Schlepptau hatte, war zum Schießen.
Als wir am Fuß der Treppe ankamen, wollte Liza einen Bogen zur Eingangstür machen, doch ich konnte sie nicht so ohne Weiteres entwischen lassen. Ohne ein Auf Wiedersehen und ein paar Ratschläge, wie sie ihren Kater am besten behandeln sollte. Ich nahm sie bei der Hand – und verdammt nochmal, das fühlte sich unglaublich gut an – und führte sie in die Küche, wo ich ihr eine Wasserflasche mit einer Aspirin darin reichte. Liza roch zwar vorsichtig an der Flasche, trank aber nicht, sondern stand einfach nur stocksteif da.
„Warum so misstrauisch, Matthews? Das hilft gegen die Kopfschmerzen“, versprach ich ihr, als ich mich gegen die Kochinsel in der Mitte der Küche lehnte und selbst einen Schluck aus meiner eigenen Flasche nahm.
Der klitzekleine Schluck, den sie dann machte, war wohl kaum genug, um eine Ameise darin ertränken zu können.
„Du vertraust mir nicht, habe ich recht?“
„Warum sollte ich auch?“, gab sie zurück. „Ich bin heute Morgen völlig verkatert aufgewacht, nach harmlosem Soda. Nicht zu vergessen, ein genauso betrunkener Junge hat die halbe Nacht neben mir geschlafen.“
Autsch! „Äh, ja, das tut mir leid. Ich trinke normalerweise nicht auf meinen eigenen Partys.“ Zumindest nichts außer Bier, was mich eigentlich immer schön den Überblick bewahren ließ. „Und eins versichere ich dir. Claudia werde ich mir wegen der gepanschten Bowle noch vorknöpfen.“ Ich rieb mir den Nacken. „Hör zu, solange du heute genügend trinkst, ist alles okay.“
Sie massierte sich die Stirn und Schläfen, wobei sie nicht aussah, als hätte sie große Hoffnung, dass der Schmerz jemals wieder nachlassen würde. „Ich fühle mich, als wäre eine Baustelle in meinem Schädel.“
„Oh ja, das Gefühl kenne ich.“ Man konnte wohl sagen, ich hatte es erfunden. Doch ein, zwei Aspirin wirkten üblicherweise Wunder. „Gib mir nur schnell eine Minute, um zu duschen, dann fahre ich dich nach Hause.“
„Nein!“, rief sie und erschreckte mich damit fast zu Tode. Oder vielleicht war ich auch nur enttäuscht, weil sie gerade so klang, als könnte sie nicht schnell genug von mir wegkommen. Im selben Moment jedoch verzog sie das Gesicht und stöhnte. Dann sagte sie in einem sanfteren Tonfall, „Nein danke. Ich gehe lieber zu Fuß, um frische Luft zu schnappen und ein wenig auszunüchtern, bevor ich meinen Eltern gegenübertrete. Meine Mutter wird ausrasten.“
Oh, okay. Das konnte ich verstehen. „Wie du meinst. Soll ich dir meine Sonnenbrille leihen?“, fragte ich, als ich sie zur Tür begleitete.
„Warum sollte ich die haben wollen?“ Sie öffnete die Tür und mit dem ersten Sonnenstrahl, der sie traf, wich sie blitzartig zurück und knallte in meine Brust.
Wahnsinn! Meinetwegen konnten wir das gleich nochmal machen. Und wenn ich mich nicht total irrte, fand sie ebenfalls Gefallen an Köperkontakt mit mir.
„Glaub mir, ich weiß, was du brauchst“, flüsterte ich ihr ins Ohr mit der unstrittigen Absicht, sie zurück in mein Zimmer zu locken. Doch wenn sie mir nicht einmal genug vertraute, um etwas zu trinken, dass ich ihr anbot, würde sie keinesfalls mit mir nach oben kommen. Nicht, wenn sie nüchtern war. Ich musste einfach härter daran arbeiten, ihr Vertrauen zu gewinnen. Und morgen, bei unserem privaten Training, würde ich die erste wirkliche Möglichkeit dazu bekommen.
Ich gab ihr meine Sonnenbrille, die ich gestern nach dem Training auf der Kommode im Flur liegen gelassen hatte, und Liza setzte sie auf. Ohne ein Wort des Abschieds verließ sie mein Haus.
Sie dachte doch nicht allen Ernstes, dass sie so einfach davon kommen würde. „Hey, Matthews!“, rief ich ihr hinterher. „Wir beginnen morgen mit dem Training. Sieh zu, dass du um fünf Uhr bereit bist. Ich hole dich ab.“
Und nur damit sie nicht auf dumme Gedanken kam, wie zum Beispiel ihre Meinung zu ändern und das Training morgen abzusagen, schenkte ich ihr zum Abschied ein letztes Lächeln und schlug die Tür vor ihrer Nase zu.
Ich lief barfuß zurück in die Halle und überredete einen schlaftrunkenen Chris, mir beim Saubermachen zu helfen. Viel war nicht mehr zu tun, denn meine Mutter war offenbar heute Morgen schon durchs Haus gefegt. Wir rückten nur noch die Möbel zurecht und rollten die Teppiche wieder aus. Dann trugen wir die leeren Bierflaschen hinaus in die Garage. Das war der Zeitpunkt, wo Chris auch endlich in die Gänge kam.
„Das war’s also?“, fragte er mit leicht erstaunter Stimme. „Du hattest das Mädel bereits im Bett?“
„Was? Jetzt beginnst du an mir zu zweifeln? Gestern hast du dich noch ganz anders angehört.“ Ich stapelte die Bierkisten in der hinteren Ecke und grinste über meine Schulter zu Chris. „Aber es war nicht, wonach es aussah. Ich hab sie nicht mal angefasst.“ Ich überdachte meine Antwort kurz. „Na ja, ein bisschen vielleicht. Aber wenn da mehr passiert ist, dann kann ich mich bei Gott nicht mehr daran erinnern.“
Chris fuhr sich mit der Hand durch sein flachsblondes Haar. „Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber es sind genau die Mädchen, die dich zappeln lassen, die es am Ende wirklich wert sind.“
Zappeln, jammern, auf den Knien vor ihr betteln – Liza konnte all das und noch mehr von mir haben. Sie brauchte nur mit den Fingern zu schnippen. Selbstverständlich würde ich das nie vor ihr zugeben. Sie würde nur die feine Kunst der Verführung kennen lernen. Außerdem gefiel es mir, wie in den letzten Tagen ein kleines Ereignis zum nächsten mir ihr geführt hatte.
Am frühen Nachmittag bekam ich eine Nachricht von Alex, der mich fragte, ob ich mit ihm und den anderen aus dem Team am Strand abhängen wollte. Es war Mitte August, also die perfekte Zeit um Surfen zu gehen. Um drei Uhr traf ich mich mit meinen Kumpels am Misty Beach, wo meine Eltern ein Strandhaus hatten. Und als kurze Zeit später auch Mitchell im Wagen seiner Mutter vorfuhr, durchzuckte mich ein Hoffnungsschwall, dass er Liza mitgebracht haben könnte. Allerdings stieg mit ihm eine Blondine aus und keine süße Brünette.
Alex und ich surften auf ein paar coolen Wellen, immer bereit für einen Wettstreit. Ich war zwar sehr sportlich, doch beim Surfen konnte Alex niemand das Wasser reichen. Ich gab mich geschlagen, als ein paar der Mädchen ihre Zehenspitzen ins Meer streckten und schließlich zimperlich hinein wateten. Draußen schüttelte ich mir das Wasser aus dem Haar und gesellte mich zu Mitchell, der gerade vorgab sich nur zu sonnen, obwohl er tatsächlich durch seine verspiegelten Sonnenbrillen Chloe im Wasser beobachtete.
„Wie stehen die Dinge zwischen dir und Summers?“
„Alles cool.“
„Ich muss zugeben, ich bin ein wenig überrascht, dass du Liza nicht mitgebracht hast. Die Mädels könnten im Wasser ein wenig miteinander spielen“, zog ich ihn auf und setzte meine Baseballmütze über das nasse Haar auf. „Weiß sie überhaupt, dass wir alle hier draußen sind?“
„Ja, sie weiß es.“ Tony nahm seine Sonnenbrille ab und drehte sich zu mir. Wow, er sah plötzlich gar nicht mehr so entspannt aus.
Ich legte mein neckisches Grinsen ab. „Was ist los?“
„Ich habe sie gefragt, ob sie mitkommen will, aber sie konnte nicht. Sie hat für den Rest der Woche Hausarrest. Und dann wurde Liz sauer auf mich, weil sie erstens denkt, dass ich sie gestern Nacht bei dir vergessen hätte, und zweitens, weil Chloe heute mit uns hier ist und sie nicht.“
„Autsch.“
„Genau.“ Tony setzte die Sonnenbrille wieder auf, um weiter eine halb-nackte Chloe Summers zu beobachten. Was augenblicklich seine Laune besserte. „Liza meinte außerdem, du warst heute Morgen nicht ganz du selbst.“
„Was?“
Ein beschissen dämliches Grinsen machte sich in seinem Gesicht breit. „Sie sagte, du hast dich wie ein Kavalier benommen. Ich hätte nicht gedacht, dass du es fertigbringst, dich zusammen zu reißen, wenn ein Mädchen neben dir im Bett liegt und du obendrein auch noch blau wie ein Veilchen bist.“
Ich musste lachen. „Also ist mein übliches Selbst ein läufiger Hund, der jede Gelegenheit nutzt, um ein Mädchen rumzukriegen?“
„Könnte in etwa hinkommen.“
Ich spiegelte Mitchells Grinsen. „Schuldig.“ Selbst wenn dieser Teil von mir schon lange der Vergangenheit angehörte. Aber es war nett zu hören, dass Liza mich als Kavalier bezeichnet hatte. Ich musste letzte Nacht also zumindest etwas richtig gemacht haben. „Was wirst du dagegen unternehmen, dass sie sauer auf dich ist?“
Tony zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Mir fällt schon was ein. Vielleicht schau ich morgen einfach mal bei ihr vorbei und wir ziehen uns ein paar Filme rein, wo sie ja nicht raus darf.“
„Wirst du ihr auch von Chloe erzählen?“
„Was bleibt mir anderes übrig?“ Er schöpfte Sand mit seiner Hand und ließ ihn dann durch seine Finger rieseln. „Aber nicht, solange sie sauer auf mich ist. Sie wird nie wieder mit mir sprechen, wenn ich diese Sache mit ihr verbocke.“
Ich rollte mich auf den Bauch und genoss die warme Sonne auf meinem Rücken. „Warte lieber nicht zu lange, mein Freund. Ich kann mir vorstellen, dass es für sie umso schlimmer sein wird, wenn sie es am Ende von jemand anderem erfährt.“ Dass Tony heute Chloe mit hierher gebracht hatte, machte die ganze Sache etwas offensichtlich. Das würde für Gerede im Team sorgen, auch wenn keiner böse Absichten dabei hatte.
„Ich werde die Sache in den nächsten Tagen aus der Welt schaffen“, versicherte mir Tony, doch der Seufzer in seiner Stimme verriet, dass er nichts mehr fürchtete, als diese kleine Unterhaltung mit seiner besten Freundin.
Ich strich das Badetuch unter mir glatt, verschränkte die Arme und legte meinen Kopf darauf, in der Hoffnung, ich könnte ein wenig Schlaf nachholen. Tony hatte andere Pläne. Ich hörte, wie er sich ebenfalls auf den Bauch rollte, und dann starrte er mich an, bis ich meine Augen wieder öffnete.
„Denkst du, Liza vermutet bereits etwas?“, fragte er mich.
„Offen gesagt, Mitchell, wenn sie bis jetzt noch nichts gemerkt hat, dann ist das Mädel blind. Aber du kennst das ja selbst – wenn du verliebt bist, legst du einfach diesen Verleugnungsschalter um, und die Welt ist für eine Weile in Ordnung.“
„Willst du damit etwa sagen, sie weiß es, doch sie will es nicht wahrhaben?“
„Ich will damit sagen, dass du vermutlich vor ihren Augen mit Summers in den Wellen toben und sie sogar küssen könntest, und es würde ein einziges Wort von dir ausreichen, um Matthews davon zu überzeugen, dass du Chloe retten und bei ihr Mund-zu-Mund-Beatmung anwenden musstest.“ Als meine eigenen Worte langsam bei mir ankamen, begann ich ebenfalls mich vor Tonys Unterhaltung mit Liza zu fürchten. Das Letzte was ich wollte war, dass jemand Liza verletzte.
„Wie hast du dir das überhaupt vorgestellt?“, fragte ich Tony. „Ich meine, was passiert, wenn du die Bombe platzen lässt? Auf eine Dreiecksbeziehung wird sich Liza wohl kaum einlassen. Die beiden hassen sich. Sie werden immer eifersüchtig aufeinander sein.“
„Ich werde das schon hinkriegen. Irgendwie.“ Nun klang Mitchell wie ein schmollender kleiner Junge, der das Spielzeug aus dem Schaufenster nicht haben durfte.
„Tony. Hör mir zu, denn ich bin dein Freund. Und im Moment begreifst du nicht einmal annähernd, welch ein guter Freund ich bin, weil ich dir das jetzt sage.“ Ich seufzte. „Du kannst sie nicht beide haben. Und auf lange Zeit gesehen, ist Liza Matthews die bessere Entscheidung. Eine mit Zukunft.“
Auf den Ellenbogen stützend verschränkte Tony die Finger im Sand und ließ den Kopf hängen. „Ich hab dir bereits gesagt, dass es für Liz und mich so eine Beziehung niemals geben wird.“
Verfluchte Scheiße, ich hasste mich für das, was ich gleich sagen würde. „Wenn du sie nicht verlieren willst, dann solltest du ernsthaft darüber nachdenken, ob du sie nicht doch als feste Freundin haben willst. Denn – Sie. Liebt. Dich! Und ich kenne dich lange genug, um zu wissen, dass du sie ebenfalls liebst.“ Ich knurrte und knirschte dabei mit den Zähnen. „Und jetzt hau ab und lass mich schlafen.“ Und zwing mich nicht weiter, meine aufkeimende Chance mit Liza zu zerstören.
Aber so gesehen, tat ich vermutlich das Richtige. Falls es für Liza und mich jemals ein wir geben würde, wollte ich der Einzige für sie sein und nicht gegen jemanden ankämpfen müssen, der für sie sowieso nicht der Richtige wäre. Die beiden mussten diese Sache wirklich auf die Reihe kriegen, sonst war ich am Ende derjenige, der darunter leiden würde, wenn sie doch noch herausfinden sollten, dass sie füreinander bestimmt waren. Ich wollte nicht riskieren, mich völlig in Liza zu verlieren, nur damit sie mich am Ende mit einem gebrochenen Herzen sitzenließ. Also fasste ich einen Entschluss. Wie auch immer sich die Dinge zwischen Liza und mir entwickelten, ich würde sie erst küssen, wenn sie über Mitchell und Summers Bescheid wusste.
Kapitel 7
BEVOR ICH AN diesem Abend zu Bett ging, stellte ich meinen Wecker auf vier Uhr dreißig für den nächsten Morgen, damit ich genügend Zeit hatte, um mich vorzubereiten, ehe ich zu Lizas Haus rüber fahren würde. Dann zog ich mich bis auf meine Boxershorts aus, machte das Licht aus und kroch unter die Decke. Mit dem Fenster weit offen, konnte ich die Grillen im Garten zirpen hören. Doch es war nicht dieses Geräusch, das mich davon abhielt einzuschlafen, sondern der Gedanke an das Mädchen, das letzte Nacht hier neben mir gelegen hatte.
Nie hätte ich für möglich gehalten, dass nur zwei Tage so einen großen Unterschied machen konnten. Doch auf einmal erschien mir das Bett viel zu groß für mich alleine. Ich setzte mich auf, knipste die Lampe auf meinem Nachtkästchen an, rutschte zurück, um mich gegen das Kopfende zu lehnen, und schlang meine Arme um ein Kissen. Das Kinn in die Federn gedrückt, ließ ich meinen Blick durch das Zimmer wandern.
Obwohl sich hier drin in den letzten beiden Jahren absolut nichts verändert hatte, kam es mir plötzlich leer vor. Etwas fehlte. Und ich wusste auch genau was. Apfelgrüne Augen, die mich anblickten. Ein Lächeln. Das Geräusch von Lizas Atem in der Dunkelheit.
Ich wollte sie wieder bei mir haben. Ich wollte der Erste sein, an den sie morgens dachte, und der Letzte, der ihr Gute Nacht sagen würde. Ich wollte alles. Und ich war es verdammt noch mal leid, darauf zu warten.
Ich machte das Licht wieder aus und saß noch eine lange Zeit im Dunklen. Tatsächlich musste ich in dieser Position eingeschlafen sein, denn als der Wecker früh am nächsten Morgen läutete, lag ich in einer seltsamen Position zusammengerollt am Kopfende meines Bettes und hielt das Kissen immer noch fest umklammert. Ich stöhnte, als ich mich aufsetzte, und rieb meinen steifen Nacken.
Ein paar Liegestütze halfen gegen die verkrampften Muskeln. Während ich in ein schwarzes Muskelshirt und Shorts schlüpfte, überkam mich ein Hauch von Aufregung. Ich hatte zwar den halben Sommer tapfer ohne Liza ausgehalten, aber die letzten zwanzig Stunden ohne sie kamen mir vor wie ein Kurztrip in die Hölle.
Ich wusch mir das Gesicht mit eiskaltem Wasser, um frisch zu werden, putzte meine Zähne und band mir die Sneakers. Dann schlich ich die Treppen hinunter und hinaus in die Garage. Da ich seit Jahren bei Mitchell zuhause ein- und ausging, wie bei mir zuhause, wusste ich auch wo Liza wohnte – gleich nebenan.
Ich hatte keine Ahnung, ob Liza bereit war los zu starten, oder ob ich sie erst wecken musste – und falls ich sie wecken musste, wie ich das anstellen sollte. Schließlich konnte ich a schlecht um fünf Uhr morgens an ihrer Haustür läuten. Mitchell sollte meinen Audi nicht vor ihrem Haus vorfinden, falls er heute Morgen aus dem Fenster schaute, also parkte ich ein paar Häuser weiter die Straße runter und lief dann zurück.
Alles war totenstill. Die Straße genauso wie Lizas Haus. Aus keinem der Zimmer kam Licht. In der Morgendämmerung schlich ich ums Haus und überlegte, was ich tun sollte. Vielleicht sollte ich einfach einen Kieselstein gegen eines der Fenster im oberen Stock werfen. Wenn ich allerdings das Schlafzimmer ihrer Eltern erwischte, steckte ich in Schwierigkeiten.
Direkt über der kleinen Gartenhütte neben dem Haus war ein Fenster weit offen. In der Glasspiegelung konnte ich nicht viel erkennen, nur einen Schrank und etwas, das aussah, wie ein Schreibtisch. Vielleicht hatte Liza ihr Fenster ja offen gelassen, weil sie wusste, dass ich kommen würde. Dies war die beste Chance, die ich kriegen würde, also versuchte ich es einfach mal.
„Matthews!“, rief ich mit unterdrückter Stimme. In der darauffolgenden Minute passierte absolut rein gar nichts. Ich versuchte es noch einmal und dieses Mal etwas lauter als zuvor. Zehn Sekunden später erschien meine ganz persönliche Julia im Fenster. Mein Herz klopfte etwas wilder, als ich sie sah. Erstens, weil ich sie wirklich, wirklich vermisst hatte. Und zweitens, weil ich erleichtert war, dass ich das richtige Zimmer erwischt hatte, und nicht das eines wahnsinnigen Vaters, der mich mit einer Schrotflinte vom Rasen jagen würde, weil ich seine Tochter verführen wollte.
Liza sah verschlafen aus und total überrascht, mich hier zu sehen.
„Hi“, sagte ich leise. „Du siehst nicht aus, als ob du bereit wärst loszulegen.“
Liza lehnte sich aus dem Fenster. Ihr langes Haar fiel dabei nach vorn. „Woher wusstest du, dass das mein Fenster ist?“
„Wusste ich nicht. Ich dachte, ich probier einfach mal alle durch.“
Sie wurde kreidebleich. „Wie viele Fenster hast du denn probiert?“
Ich lachte. „Deines.“
Etwas ging ihr gerade durch den Kopf. Ich wusste zwar nicht, was genau, doch in diesem Moment zappten ihre Augen durch sämtliche Emotionskanäle. Schock, Faszination, Freude. Dann wieder Schock. Die ganze Zeit über sagte sie kein Wort.
„Kommst du jetzt, oder was?“, forderte ich sie auf.
„Ich kann nicht. Ich habe Hausarrest“, flüsterte sie.
„Weil du mit mir geschlafen hast?“
Das brachte sie zum Lächeln, auch wenn sie versuchte es vor mir zu verstecken. Baby, das funktioniert nicht.
Sie lehnte sich etwas weiter heraus und antwortete: „Nein…? Weil die Traubensoda nicht ganz koscher war.“
„Wie lange hast du Hausarrest?“
„Die ganze Woche. Aber ich darf zum Training kommen.“
„Zumindest das.“ Es wäre furchtbar gewesen, sie nicht wenigstens bei Training zu sehen, wo ich sie doch endlich im Team hatte. Aber ich wollte auch jetzt mit ihr trainieren. Es musste doch einen Weg geben, sie aus ihrem Zimmer zu schleusen, ohne dass ihre Eltern etwas davon merkten. Ich prüfte den Baum und die Gartenhütte, dann kam mir eine Idee. „Wann stehst du für gewöhnlich auf?“
Sie sah mit schmalen Augen zu mir runter. „Keine Ahnung. Acht, neun, manchmal auch später.“
„Das verschafft uns mindestens drei Stunden, bis dich jemand zum Frühstuck erwartet.“ Genug Zeit, um sie da raus zubekommen, ein wenig mit ihr zu laufen, und sie wieder zurück ins Haus zu schmuggeln. Und ich hatte nicht die Absicht, auch nur eine Minute dieser kostbaren Zeit mit ihr zu vergeuden. Mit einem kurzen Kopfnicken deutete ich ihr an, dass sie zu mir runter klettern sollte. „Komm raus!“
„Was?“
„Zieh dich an und kletter auf das Dach der Hütte. Ich helfe dir dann runter.“
„Du bist verrückt!“
Ich setzte ein verschmitztes Grinsen auf. „Und du bist ein Feigling.“
„Bin ich nicht!“
„Ach nein? Beweise es.“ Falls ich mit meiner Einschätzung nicht total danebenlag, würde sie diese Aufforderung nicht einfach so abtun und den Schwanz einziehen. Sie kaute auf ihrer Unterlippe und sah etwas misstrauisch aus. Sie brauchte wohl eine Extraeinladung. „Was ist jetzt?“
„Na schön. Gib mir eine Minute.“
Ich schloss meine Augen für einen Moment und versuchte, meine Freude im Zaum zu halten, während Liza in ihrem Zimmer verschwand. Dann lehnte ich mich gegen einen Baum und versuchte durch die Reflektion in der Fensterscheibe herauszufinden, was oben grad vor sich ging. Leider konnte ich nichts weiter als einen Schatten ausmachen.
Als sie zurückkam und aus dem Fenster kletterte, ging ich näher an die Gartenhütte heran. Sie wirkte ängstlich und unbeholfen – definitiv kein Fan von Akrobatik. Nach einer Minute hatte sie es dann aufs Dach des Geräteschuppens geschafft.
„Sehr gut“, ermutigte ich sie. „Jetzt häng dich da an den Ast.“
Liza riss die Augen weit auf, und ich könnte schwören, sie war knapp davor, mich als wahnsinnig zu beschimpfen, weil ich es wagte, so einen Blödsinn überhaupt nur vorzuschlagen. „Ich werde mir das Genick brechen, wenn ich runterfalle.“
Sie würde auf dem Arsch landen, wenn sie runterfiel. Und selbst das würde nicht sonderlich wehtun. Wie dem auch sei, ich würde schon dafür sorgen, dass sie sich nicht verletzte. „Ich lass dich nicht fallen. Ich verspreche es.“
Es überraschte mich, wie schnell sie mir dieses Mal vertraute, denn einen Moment später, und ohne weitere Diskussion schnappte sie sich den nächsten Ast und machte einen Schritt von der Dachkante. Es störte sie vermutlich, dass ich ihr verängstigtes Winseln hörte, doch ich fand es unglaublich sexy.
Als sie an dem Baum hing wie ein Laken an der Wäscheleine, ließ ich meinen Blick an ihrem Körper runter und wieder rauf gleiten. Was ich als Nächstes vorhatte, gehörte definitiv zu den Highlights des Tages, und ich hatte vor, es bis ins Kleinste auszukosten. Ich machte einen Schritt auf sie zu und legte meine Hände dann sanft auf ihre Waden. Ich schob sie langsam nach oben über ihre Oberschenkel, bis ich einen guten Griff gleich unterhalb ihres Hinterns hatte. Lizas sämtliche Muskeln versteiften sich bei meiner Berührung.
Ich musste erst meine Zunge von meinem Gaumen lösen, bevor ich ein Wort herausbrachte. „Ich hab dich. Lass los!“
„Nein!“, rief sie mit zittriger Stimme.
Herr Gott, was dachte sie, was wir hier machten? Wollte sie etwa den ganzen Tag so hängen bleiben? „Lass jetzt den Ast los, Matthews!“, befahl ich ihr, doch ich musste dabei auch lachen.
Sie stöhnte und fluchte in unverständlichen Sätzen, doch schließlich löste sie ihre Finger vom Ast und das Gewicht eines Kätzchens sackte in meine Hände. Panisch klammerte sie sich an meinen Schultern fest und ich fand mich in ihren wunderschönen Augen gefangen. Nach ein paar Augenblicken lockerte ich meinen Griff und ließ sie langsam an meinem Körper herabgleiten. Heilige Scheiße, das törnte mich an wie niemals etwas zuvor. Als ihre Füße den Boden berührten, war ich noch nicht bereit sie gleich loszulassen. Meine Arme immer noch fest um sie geschlungen, atmete ich ihren lieblichen Duft ein und genoss die Wärme, die ihr zarter Körper an mich abgab.
Ein Lächeln machte sich auf meinen Lippen breit. „Hi.“
Ihre Hände lagen auf meiner Brust und ich konnte spüren, wie sie zitterten. Es war kein bisschen kalt an diesem Morgen. Ich fand es süß, wie sie versuchte, ihre Nervosität hinter einem lässigen Blick zu verstecken, als sie sich aus meinen Armen befreite.
„Können wir?“, fragte ich.
„Wohin?“
„Runter zum Strand?“
Liza schluckte, wahrscheinlich, weil es doch ziemlich weit war, doch sie nickte tapfer und wir starteten los. Ich lief extra langsam, nicht dass sie mir nach den ersten zweihundert Metern schon schlappmachen würde.
In der Morgendämmerung sahen alle Häuser gleich aus. Ich joggte an Wocheneden gerne so früh, denn um diese Tageszeit war alles noch ruhig und friedlich. Mit Liza neben mir, war es doppelt so nett. Sie machte sich ganz gut – na ja, zumindest hatte sie nicht gleich nach den ersten paar Schritten aufgegeben. Nur die Stille zwischen uns störte mich ein wenig. „Waren deine Eltern sauer, weil du letzte Nacht nicht nach Hause gekommen bist?“
„Nein“, brachte sie zwischen ihren prustenden Atemzügen hervor. „Sie dachten, ich hätte bei Tony geschlafen. Das stört sie nicht.“
Wie bitte? Sie hatte bei Mitchell geschlafen? Ich stolperte beinahe über meine eigenen Füße. Der Bastard hatte davon nie ein Wort erwähnt. „Machst du das öfter?“
Liza warf mir einen prüfenden Blick zu. „Hast du etwa was dagegen?“
Und ob! Ich musterte sie aus dem Augenwinkel, sagte aber nichts, solange ich spürte, wie eine unsichtbare Faust meine Brust in der Zange hatte. Erst als wir schon beinahe am Ozean ankamen und ich das Rauschen der Wellen hörte, schaffte ich es endlich wieder normal zu klingen. „Weswegen dann der Hausarrest?“
Liza wischte sich mit dem Arm den Schweiß von der Stirn. „Meine Mutter hat meine roten Augen gesehen. Sie schloss daraus, dass ich getrunken hatte.“ Als sie plötzlich fluchte, zog ich eine Augenbraue hoch. „Ich habe deine Sonnenbrille vergessen“, meinte sie.
An die hatte ich schon gar nicht mehr gedacht. „Kein Problem. Du kannst sie mir morgen beim Training zurückgeben.“
Sie nickte nur und mir war klar, dass diese kurze Strecke, die wir bisher gelaufen waren, sie ganz schön außer Puste gebracht hatte. Sie klang wie ein Blasebalg. Sobald wir den Strand erreichten, plumpste sie wie ein Sack Mehl in den Sand.
Das gehörte nicht zum Training. Ich stellte mich vor sie mit den Händen in die Hüften gestemmt und blickte in ihr rotes Gesicht. „Was machst du da?“
„Ich sterbe.“
Es waren immer diese Kleinigkeiten an ihr, die mich zum Lachen brachten. „Nein, tust du nicht. Jetzt steh auf, wir sind noch nicht fertig.“
„Ich bin fertig“, entgegnete sie. „Aber kümmere dich nicht um mich. Lauf ruhig weiter. Ich bin sicher, in ein paar Stunden wird jemand kommen und mich vom Asphalt kratzen … oder aus dem Sand graben …“ Sie machte eine abfällige Bewegung mit ihrer Hand. „Was auch immer.“
Was für ein verrücktes Mädel. Ich hockte mich hin und begann ihre Schuhbänder zu lösen. Wir hatten noch einiges vor uns.
„Hey, was zum Teufel …“ Sie zog ihren Fuß aus meiner Reichweite. „Man stiehlt nicht von sterbenden Leuten.“
Da gab ich auf und hielt die Hände hoch. „Schön, dann zieh sie eben selbst aus.“
Sie stützte sich auf ihre Ellenbogen und sah mich mit weit geöffneten Augen an. „Und warum?“ Dann wanderte ihr Blick hinüber zu den Wellen und sie begann zu strahlen. „Gehen wir schwimmen, um uns abzukühlen?“
„Nein“, antwortete ich, obwohl sie da gerade einen sehr interessanten Gedanken in meinen Kopf gepflanzt hatte. Ich hätte mich zu ein wenig Herumtollen im Meer mit ihr überreden lassen können. Doch das war einfach eine zu große Versuchung. Bei so einem Blödsinn war schon mal ein Kuss die Folge. Und ich hatte mir geschworen, ich würde sie erst küssen, wenn sie die Wahrheit über Mitchell wusste. Nach einem sehnsüchtigen Blick hinaus aufs Meer, drehte ich mich zurück zu ihr und sagte in einem Tonfall, der mich nicht in Schwierigkeiten bringen würde: „Die Strecke hierher war nur das Warm-up. Das eigentliche Training beginnt hier.“
Da lief ihr die Farbe aus dem Gesicht. „Das ist nicht dein Ernst.“
„Wollen wir wetten?“
Sie zog ein langes Gesicht und seufzte, doch eines hatte ich mittlerweile herausgefunden. Was ich sagte, zählte für sie, und so zog sie folgsam ihre Schuhe aus. Wir versteckten sie gemeinsam bei den Felsen. Ich wollte zu gerne wissen, ob sie in mir nur den Kapitän ihrer neuen Mannschaft sah oder ob sie einen guten Eindruck bei mir, dem netten Jungen, machen wollte, und deshalb tat, was ich sagte.
Nur wenige Minuten später wurde mir klar, dass sie in mir keinesfalls den netten Jungen sah, als sie fragte: „Wissen deine Eltern eigentlich von deiner sadistischen Seite?“
Ich erinnerte mich nur zu gut an das erste Mal, als ich hier am Strand entlang gejoggt war. Ihre Waden brannten wahrscheinlich wie die Hölle. Aber da musste sie durch. Schließlich wollten wir aus ihr doch eine Super-Fußballspielerin machen.
Ich zupfte verspielt an ihrem Pferdeschwanz. „Was soll ich sagen? Du bringst das Beste in mir zum Vorschein.“
„Oh, wie nett. Gerade fühle ich mich ja so besonders.“ Liza schubste mich gegen die Schulter und ich lachte laut, während ich um mein Gleichgewicht kämpfte. „Wie weit laufen wir noch?“, wollte sie wissen.
„Ich bin diese Strecke noch nie gerannt, aber ich denke, es ist noch etwa eine halbe Meile. Kennst du die Bungalows am Misty Beach?
„Haben deine Eltern dort ein Haus?“
„Jep.“ Im Vergleich zu unserer Villa am Stadtrand war der Bungalow hier draußen ein niedliches, kleines Etwas. Ich kam gern hierher, um ein wenig zu lesen oder meine Schulaufgaben auf der Veranda zu machen. Mein Dad hatte für mich und Rachel extra eine Hollywood-Schaukel aufgestellt, als wir noch klein waren, und sie war der perfekte Platz um ein wenig in der Sonne zu chillen.
Wir hatten noch ein ganz schönes Stückchen vor uns, und als Misty Beach endlich in Sicht kam, befürchtete ich schon, Liza würde keinen einzigen Schritt mehr durchhalten. Ich schnappte sie am Arm und zog sie weiter.
Sie leckte sich die Lippen und ihre Lungen machten ein unnatürliches Geräusch. „Lass mich los und ich schwöre, ich trinke den ganzen Ozean leer.“
„Kopf hoch, Matthews. Du hast es gleich geschafft“
Als ich sie nur zwei Minuten später die Treppen zu unserem Strandhaus hinauf führte, strahlten ihre Augen vor Stolz darüber, dass sie es tatsächlich geschafft hatte. Ich freute mich mit ihr.
In der Topfpflanze auf dem Verandageländer war immer ein Ersatzschlüssel für die Haustür versteckt. Ich fischte ihn heraus und ließ uns hinein. Die Tür fiel hinter uns ins Schloss. Liza blieb wie angewurzelt im Wohnzimmer stehen und betrachtete die Einrichtung; den großen Flachbildfernseher, die weiße Ledercouch und besonders das weite Bücherregal an der hinteren Wand. Inzwischen ging ich in die lichtdurchflutete Küche und holte uns etwas zu trinken. Ich warf Liza eine Wasserflasche zu.
Sie schüttete das Zeug runter, als müsste sie einen Kamelhöcker auffüllen, dann wischte sie sich mit dem Handrücken über die nassen Lippen. „Nun sag schon, oh großer Folterer, warum mussten wir unbedingt im Sand laufen? Zählt es zu deinen besonderen Vorlieben, Mädchen wie mich leiden zu sehen?“
Meine persönlichen Vorlieben wollte sie wissen? Ganz oben auf der Liste stand, dass sie sich für mich ausziehen würde. Ich rollte mit den Augen. „Wieso denkst du nur so schlecht von mir?“
„Ich weiß nicht.“ Sie ging hinüber zur Couch und lehnte sich gegen die Rückenlehne, wobei sie ihre Arme verschränkte. „Vielleicht, weil ich meine Lunge unterwegs verloren habe? Oder weil meine Beine in Flammen stehen?“
„Ach, jetzt komm schon“, neckte ich sie. „Wir sind über zwei Meilen gelaufen und du stehst immer noch aufrecht. Das ist großartig. Und im Sand zu laufen trainiert deine Muskeln viel besser, als wenn du auf Asphalt läufst. Wir laufen beim Fußball nur auf Rasen. Du musst dich erst gewöhnen an diese zusätzliche …“
„Qual?“
Klugscheißer. „Genau.“ Ich ging auf sie zu und strich ihr mit einem Finger die verschwitzen Stirnfransen aus dem Gesicht. Jedes Mal, wenn ich sie berührte, konnte ich an nichts anderes mehr denken, als daran, sie zu küssen. Etwas in ihrem Blick verriet mir, dass sie langsam anfing, mich zu durchschauen.
Ich senkte meinen Blick, nahm ihr die leere Flasche ab und warf sie zusammen mit meiner in den Mülleimer. Dann erstarrte ich, denn auf der Veranda waren plötzlich Fußtritte zu hören.
Mist! Das war meine Mom.
Ich blickte zur Tür, dann zurück zu Liza. Das war kein guter Moment, um sie hier zu haben. Liza sah genau so schockiert drein, wahrscheinlich aber nur deshalb, weil ich gerade vor ihr in Panik ausbrach. Wir hatten keine Zeit für Erklärungen. Während die Schlüssel meiner Mutter im Schloss rasselten, stürzte ich auf Liza zu und versuchte ihr nicht wehzutun, als ich sie rückwärts über die Lehne der Couch stieß. Wir landeten gemeinsam auf der Sitzfläche, dann rollte ich mich zur Seite und zog sie mit mir runter auf den harten Holzboden und aus dem Blickfeld meiner Mom.
Als Liza auf mir landete, konnte ich ohne Übertreibung sagen, dass dies die Erfüllung all meiner Träume war. Aber sie presste auch die gesamte Luft aus meinen Lungen.
Liza blickte finster auf mich herab und ich spürte ihren warmen Atem in meinem Gesicht. Ihr Haar, das samtig nach vorn gefallen war, kitzelte meine Wangen. In einem Bruchteil einer Sekunde schoss mein gesamtes verfügbares Blut nach unten zu meiner Leistengegend. Verdammt. So hatte ich das nicht geplant. Ich biss die Zähne aufeinander und kämpfte darum, mich unter Kontrolle zu bekommen.
Es machte nicht den Anschein, als ob Liza es bemerkte, obwohl sich ihr Gesichtsausdruck für einen kurzen Moment veränderte. Sie blickte sanfter, so als ob sie überrascht war, was sie in meinen Augen sah.
„Wer ist das?“, fragte sie dann in einem bissigen Flüstern und ihr Blick verhärtete sich aufs Neue.
„Das muss meine Mom sein“, flüstere ich zurück und unterdrückte dabei ein Stöhnen. Dann schob ich sie von mir runter und näher zur Couch. Es war für uns beide sicherer, wenn sie nicht in dieser unglaublich antörnenden Position auf mir liegen blieb. Ich rutschte so nahe es ging an sie heran und legte ihr eine Hand über den Mund, während meine Mutter dabei war, Kisten in die Küche zu tragen.
„Sie füllt den Kühlschrank auf“, sagte ich ganz leise. Als meine Lippen dabei sanft ihr Ohr berührten, schloss Liza kurz die Augen. Ihr Atem strich dabei weich über meinen Handrücken. Ich begann zu lächeln. Es gefiel ihr, da gab es keinen Zweifel. Was zur Hölle hielt mich davon ab, ihr Ohr ein wenig mehr zu liebkosen, nur um einen weiteren Seufzer wie diesen aus ihr heraus zu locken?
Ach ja, richtig. Geräusche, die aus der Küche kamen.
Wenige Sekunden später zog Liza meine Hand von ihrem Mund. „Warum verstecken wir uns hier?“
Weil das Thema Mädchen etwas kompliziert war, wenn meine Eltern ins Spiel kamen. „Meine Eltern mögen es nicht, wenn ich wahllos Mädchen hierher mitbringe. Wenn du also nicht unbedingt als meine Freundin vorgestellt werden möchtest, schlage ich vor, wir bleiben hier unten.“
Liza erstarrte. Okay, ich hatte verstanden. Als meine Freundin vorgestellt zu werden war also nicht ihr oberstes Ziel, obgleich es meines war. Aber ich hatte im Moment echt keine Lust, irgendwelche peinlichen Fragen meiner Mutter zu beantworten. Daher war ich froh über Lizas leises Einverständnis hier unten zu bleiben.
Nicht lange und meine Mutter war wieder draußen. Trotzdem, nur um ganz sicher zu gehen, dass sie auch wirklich wieder weggefahren war, wartete ich noch eine Minute, bevor ich schließlich aufstand.
Liza seufzte erleichtert auf. Doch als ich ihr die Hand entgegenstreckte, um ihr aufzuhelfen, schlug sie meine Hilfe aus. Die Beine aufgestellt, mit den Füßen auf dem Boden, verschränkte sie die Arme hinter ihrem Kopf. „Bist du sicher, dass dein Dad nicht gleich zur Tür herein schneit?“
„Ja, bin ich.“ Törichtes Gör. „Unter der Woche kommt er niemals hierher.“ Ich ignorierte ihren Sarkasmus und fasste ihre Hand. „Hoch mit dir.“
Wieder auf den Beinen, klopfte sich Liza unsichtbaren Staub vom Hintern. „Nächstes Mal wäre ich dir dankbar, wenn du mich kurz vorwarnst, bevor du mich zu Boden reißt.“
Wenn das alles war, damit ich die Erlaubnis hatte, sie noch einmal auf mich zu ziehen … „Geht klar.“
Ich lief ins Badezimmer und zog ein frisches Handtuch aus dem Schrank. Auf dem Weg zurück ins Wohnzimmer wischte ich mir damit den Schweiß vom Gesicht und warf es dann zu Liza, damit auch sie sich abwischen konnte.
Sie fing es auf und hielt es dann mit zwei Fingern hoch. „Bäh!“
Bäh? Echt jetzt? Ich drehte im Stand um und wollte ihr gerade erklären, dass sie ab jetzt eine Fußballspielerin war und nicht für Miss California kandidierte.
Aber ihre schnippische Zunge war schneller als meine. „Ich wusste gar nicht, dass uns dieses bisschen Sport so viel näher gebracht hat. Auf Schweiß-Level …“
Hat es aber. Komm damit klar. Als Antwort zog ich nur eine Augenbraue hoch. Ich ignorierte ihre Grimasse und ging nach draußen, wo ich in die Hollywood-Schaukel sackte. Es dauerte nur eine Minute, bis sie mir folgte. Und hey, sie rieb sich gerade den Nacken mit meinem verschwitzten Handtuch.
Liza schoss es anschließend zu mir rüber und ich fing es gerade noch vor meinem Gesicht ab. „Lass uns zurück gehen“, maulte sie.
Was, jetzt schon? Ich wollte noch nicht zurück. Nicht, wenn ich stattdessen ein bisschen Zeit allein mit ihr hier verbringen könnte. „Hast du’s eilig, Matthews?“
Sie blickte genervt um sich. Offensichtlich war ihr nicht danach, sich neben mich auf die Schaukel zu setzten. Schließlich lehnte sie ihren sexy Hintern gegen das Geländer neben der Treppe, die zum Strand runter führte. „Nicht wirklich. Aber ich habe auch nicht vor, an einem Ort zu bleiben, an dem ich einen Heiratsvertrag unterzeichnen muss, um willkommen zu sein“, zickte sie mich an.
War sie etwa immer noch nervös wegen meiner Mutter? „Sie kommt bestimmt nicht zurück.“
„Das ist mir scheißegal.“ Sie setzte einen Blick auf der hieß: Komm mit mir zurück oder fall tot um.
„Na schön. Ich hole nur noch schnell den Ball, dann können wir los.“ Ich lief nochmal zurück ins Haus und holte den Fußball, den ich immer in meinem Zimmer hatte für den Fall, dass ein paar Freunde hier raus kamen und wir am Strand spielen wollten. Gemeinsam mit einer vollen Wasserflasche und dem Handtuch, das noch auf der Schaukel lag, stopfte ich den Ball in einen Rucksack und zog den Reißverschluss zu. Zuletzt versteckte ich den Schlüssel wieder in der Topfpflanze und wir machten uns auf den Weg zurück. Da Liza nicht aussah, als würde sie die gleiche Strecke nochmal laufen können, schlenderten wir stattdessen am Wasser entlang.
Der morgenrote Himmel wurde langsam blau, die Wellen umspielten meine Knöchel, ich hatte mein Traummädchen neben mir – der Moment war perfekt. Wie gerne hätte ich nach ihrer Hand gegriffen und meine Finger mit ihren ineinander geschlungen. Doch sie wirkte etwas steif, seit wir das Strandhaus verlassen hatten, und ich wollte mein Glück nicht herausfordern.
„Wozu hast du den Ball mitgenommen?“, fragte sie nach einer Weile.
„Du musst noch etwas an deinen Pässen und deiner Fangtechnik arbeiten. Der Strand eignet sich dafür hervorragend.“
Wir erreichten den Platz, an dem wir unsere Schuhe versteckt hatten, schneller, als mir lieb war, und zogen sie an. Dann sagte ich ihr, sie sollte hier stehen bleiben, während ich den Fußball aus meinem Rucksack zog und damit gut zehn Meter nach hinten lief.
„Ich möchte, dass du den Ball stoppst!“, rief ich ihr zu, bevor ich zu ihr schoss. Doch sie kreischte nur und fing den Ball mit ihren Händen. Was zum Teufel … „Das ist Fußball. Wir spielen hier nicht mit den Händen!“, erklärte ich laut genug, dass sie mich über die Entfernung hören konnte. „Schieß zurück!“
Sie war viel zu verkrampft, als sie mir den Ball zurück schoss. Dabei verursachte sie nicht nur einen kleinen Sandsturm, sondern verfehlte mich auch noch um fünf Meter. Sie brauchte wohl doch noch etwas mehr Nachhilfe. Und ich war gerne bereit dazu. Ich lief rüber zum Ball und kickte fest.
Liza fing ihn erneut auf.
Ich richtete meinen Blick nach oben und rieb meine Hände übers Gesicht. „Ohne Hände, Matthews!“
Wir passten noch einmal hin und zurück, doch dieses Mal machte sie einfach einen Schritt zur Seite und ließ den Ball an ihr vorbeizischen.
„Was sollte das denn?“, rief ich und joggte dabei zurück zu ihr.
„Du hast gesagt, keine Hände“, fauchte sie. „Soll ich den Ball mit den Zähnen fangen, oder wie?“
„Das würde ich lieber nicht versuchen.“ Wir wollten doch nicht, dass sie ihr hübsches Lächeln verlor. „Während des Spiels wirst du den Ball öfter stoppen müssen, aber da du die Hände nicht einsetzen darfst, setzt du dabei den ganzen Körper ein. Deine Schultern, den Kopf und hauptsächlich die Brust.“
„Aha. Da gibt’s nur ein klitzekleines Problem.“ Sie fasste sich mit beiden Händen an die Brust. „Ich habe die hier!“
Ich traute meinen Augen nicht. Tat sie das gerade wirklich? Ein Mädchen sollte sich absolute niemals selbst an die Brüste fassen, wenn ein Junge in der Nähe war … außer sie hatte vor, ihn wie einen kompletten Idioten aussehen zu lassen, der plötzlich seine eigene Sprache nicht mehr sprechen konnte. Ich schluckte, als mir Mund und Hals austrockneten, und konnte meinen Blick einfach nicht von der netten Handvoll, die sie da hielt, losreißen.
Sie ließ ihre Möpse los und brabbelte irgendwelchen für mich bedeutungslosen Scheiß. Doch ich nahm an, es störte sie ein wenig, dass ich sie immer noch anstarrte, wenn bereits Sabber aus meinem Mundwinkel floss. Langsam zog ich meinen Blick von diesem fesselnden Panorama ab und lächelte verschmitzt, als ich in ihr hochrotes Gesicht sah.
„Genug trainiert für heute.“ Ihre zittrige Stimme verriet sie, was mir irgendwie gefiel. Sie starrte auf den Boden und bohrte mit der Fußspitze ein Loch in den Sand. „Ich muss zurück, bevor meine Mutter bemerkt, dass ich abgehauen bin.“
Alles klar. Doch ich ließ sie an unserem ersten Trainingstag nicht so ohne Weiteres davonkommen. Unter energischem Protest willigte sie schließlich ein, dass wir zumindest den halben Weg laufen würden. Der Rest der Strecke war Cool-down. Als wir bei ihrem Haus ankamen, zog sie mich plötzlich quer über die Straße und hinter einen Baum. Ich folgte ihr wie ein dressiertes Hündchen und war total bereit, in diesem Versteck mit ihr rumzuknutschen, falls sie das vorhatte. Aber sie dachte gar nicht daran.
Sie drückte sich mit dem Rücken gegen den Baum und lehnte sich dann vorsichtig zur Seite, um nach hinten zu spionieren. Als sie sich blitzartig wieder aufrichtete, blickte sie zum Himmel hinauf und jammerte: „Ich bin so was von geliefert.“
Ich ließ mich ebenfalls um den Stamm herum. Na schön, dann war da eben jemand im unteren Stock ihres Hauses. Könnte schlimmer sein. Mit einem Finger hob ich Lizas Kinn, sodass sie mich ansehen musste. „Gibst du immer so schnell auf?“
„Du, wie es scheint, wohl nicht“, gab sie zurück. „Was schlägst du vor?“
Einfach. „Wir schmuggeln dich auf demselben Weg hinein wie heraus.“
Liza zog die Augenbrauen tiefer in ihr Gesicht. „Durch das Fenster?“
„Genau.“
„Tony klettert schon seit Jahren durch mein Fenster. Aber ich kann mir nicht vorstellen, wie ich da hochkommen soll.“
Sag das nochmal! Mein Herz blieb zwischen zwei Schlägen stehen und ich blickte sie scharf an. „Mitchell klettert in dein Zimmer?“
„Ja. Aber ich brauche eine Leiter, um aufs Dach des Schuppens zu gelangen. Und soweit ich weiß, haben wir keine Leiter.“
Stopp. Spul das zurück. Mitchell kletterte in ihr Zimmer? „Warum?“
„Warum was?“
Komm schon, bleib bei der Sache, Mädel! „Warum klettert er in dein Zimmer?“
„Hallo? Können wir bitte bei der Sache bleiben?“
Das mache ich, verdammt nochmal!
„Ich hab Stubenarrest und muss irgendwie in mein eigenes Haus einbrechen.“
Ich wollte sie anschreien, sie bei den Schultern packen, schütteln und ihr verbieten, dass sie Mitchell jemals wieder durch ihr Fenster klettern ließ. Doch sie wirkte verzweifelt, weil sie nicht wusste, wie sie zurück in ihr Zimmer kommen sollte, und ich hatte plötzlich ein schlechtes Gewissen. Ich ignorierte meinen Ärger und nickte. „Na gut. Komm mit.“
Ich packte einen Zipfel ihres weißen Tops und zog sie über die Straße. Die Luft war rein; niemand war in der Nähe des Fensters. Liza versteckte sich sogleich hinter dem Geräteschuppen und hielt Ausschau nach ihren Eltern. Ich hielt ebenfalls Ausschau, aber nach einem Weg, wie ich sie auf das Dach der Hütte bekommen würde. Der Baum würde funktionieren. „Ich nehme an, Mitchell klettert hier hoch, um auf das Dach der Hütte zu gelangen?“
„Äh, ja.“ Sie riss den Kopf herum und starrte mich entgeistert an. „Du erwartest aber nicht ernsthaft, dass ich auf diesen Baum steige, oder?“
Nein, Schätzchen, ich erwarte, dass du deine Flügel ausbreitest und nach oben fliegst. Ich verbiss mir diese Antwort, da sie sowieso schon besorgt genug schien, und testete stattdessen die Dachkante des Schuppens mit meinem Gewicht. Kein Brett knarrte, als ich daran hing. Wir konnten es also getrost versuchen. „Komm her, Matthews!“
Sie beobachtete mich skeptisch, wie ich mich breitbeinig unter die Kante stellte. „Was hast du vor?“
„Wir schaffen dich da jetzt rauf.“ Ich verschränkte meine Finger vor meinen Leisten. Hoffentlich wusste sie, wie eine Räuberleiter funktionierte.
„Kommt gar nicht infrage“, kreischte sie, was ich wiederum sehr amüsant fand, denn ihre Mutter hatte das mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit hören können.
„Jetzt stell dich nicht so an“, forderte ich sie neckend auf. Es hatte heute Morgen bei ihr gewirkt, als ich sie dazu bringen wollte, zu mir runter zu klettern, also standen die Chancen gut, dass es wieder funktionieren würde. „Ich habe doch schon bewiesen, dass ich dich tragen kann, erinnerst du dich? Zweimal sogar.“
Sie warf einen letzten ängstlichen Blick über ihre Schulter, kam dann zu mir und legte mir ihre Hände auf die Schultern. Oh, so ein tiefer Seufzer. Aber das war mein Mädchen.
Ich ging etwas tiefer in die Knie, als sie ihren Fuß in meine Hände stellte, um es ihr leichter zu machen. „Bist du soweit?“
Ihre Finger gruben sich in meine Schulterblätter. „Nein.“
„Wir sehen uns morgen.“ Mit einem kräftigen Schub katapultierte ich sie nach oben, und als sie bäuchlings auf dem Dach landete, schob ich sie an den Beinen weiter hoch.
Sie raffte sich auf und balancierte rüber zu ihrem offenen Fenster. Zumindest stellte sie sich beim Hineinklettern nicht allzu tollpatschig an. Doch als sie sich zu mir umdrehte, sah sie nicht besonders glücklich drein. „Ich glaube, wir sollten das lieber nicht nochmal machen.“
„Wieso nicht?“
„Meine Eltern geben mich zur Adoption frei, wenn sie das herausfinden.“
„Sie werden nichts merken.“
„Was, wenn doch?“
„Das wird nicht passieren“, knurrte ich, fest entschlossen sie an unsere Abmachung zu binden. Das Training mit ihr heute war einfach zu schön gewesen. „Und jetzt rein mit dir und ab unter die Dusche!“
Sie knirschte mit den Zähnen. „Ich werde morgen nicht runterkommen. Wir haben ohnehin Training. Ich denke nicht, dass ich zwei Folterrunden an einem Tag überstehe.“
„Ja. Richtig.“ In dem Punkt musste ich ihr zustimmen. Ich wollte zwar Zeit mir ihr verbringen, sie aber dabei nicht umbringen. „Also Mittwoch. Fünf Uhr. Und Matthews …“ Ich grinste verschmitzt zu ihr nach oben, nur damit sie mich auch richtig verstand. „Zwing mich nicht da rauf zu klettern und dich zu holen.“
Denn ich würde sie ohne zu Zögern über meine Schulter werfen und selbst herunter tragen, wenn es nötig war.
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Fortsetzung folgt … wenn ihr wollt. 😉